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Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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das ist so geblieben. Ich hätte niemals geglaubt, daß ich ein Kind kriegen würde. Daß man das überhaupt kann. Daß man eine Biologie an sich hat. Also ich. Es war ein Skandal, das gesagt zu bekommen.
    Außerdem wollte ich keins.
    Ich sehe mich noch aus der Arztpraxis kommen, im Treppenhaus hatte jemand: Maritta du geile Drecksau an die Wand gesprüht, ich hatte es schon vorher gelesen, als ich hochgegangen war und noch nicht so verblüfft wie jetzt, und es ist ein ganz normaler Sprühspruch gewesen, mit diesen Sprüchen ist es wie mit der Werbung, du liest sie und liest sie nicht, aber jetzt beim Hinuntergehen hat er sich anders gelesen. Ich habe mir vorgestellt, da stünde: Maritta, du liebe Mama. Maritta du geile Drecksau schien mir nicht so pervers wie: Maritta, du liebe Mama. Draußen war plötzlich ein anderer Sommer als noch vor einer Stunde. In diesem Sommer haben die Häuser etwas gekippelt. Vor dem Haus steht eine Telefonzelle, aber ich habe gedacht, eine Telefonzelle ist noch kein Grund, jemand anzurufen, und beim Gehen hat mich Maritta beschäftigt. Ob sie eine geile Drecksau ist oder eine liebe Mama. Vielleicht wenn man es mischen würde. Du geile Mama oder du liebe Drecksau. Maritta hat angefangen, mich sehr zu interessieren. Besonders die beiden letzten Formen. Die vorletzte kam mir besonders pervers und befremdlich vor. Übrigens ist sie tatsächlich ein ernstes Problem. Wenn Ihnen jemand weismachen will, sie sei keins: er lügt. Wahrscheinlich wird er von diesem Statistischen Bundesamt dafür bezahlt. Herrschaften! Und die Reproduktion, wobei Reproduktion heißt: das Kinderkriegen.
    Gut.
    Gut?
    Als ich eine Weile nachgedacht habe, ist mir vorgekommen, als ob es, grob gesprochen, zwei Sorten Mütter gibt. Die allerfurchtbarsten und die eingeschränkt wunderbaren. Die allerfurchtbarsten haben Töchter, und die eingeschränkt wunderbaren haben Söhne. Pro Tochter gibt es eine allerfurchtbarste Mutter und pro Sohn eine eingeschränkt wunderbare. Manche sind offenbar schizophren. Meine arme Mutter, habe ich gedacht. Ali, Bea und ich. Dreimal danebengetroffen.
    Die Sache ist augenblicklich auf Glück angewiesen, demnächst geht es gentechnologisch. In jedem Fall aber, selbst wenn du Glück hast und wirst zufällig eingeschränkt wunderbar, ist ein Haken dabei, weil du selbst eine ehemalige Tochter bist. Das hat es mir sehr erschwert. Als es in den siebziger Jahren Mode war, Kinder zu kriegen, war es gleichzeitig sehr in Mode, die Mutter zu diesen Kindern zu sein. Es ist nicht wichtig gewesen, daß es zu jedem Kind ungefähr auch einen Vater gab, es ist überhaupt nicht so sehr um den Vater gegangen, weil es vorher die ganze Zeit und ein paar tausend Jahre um den Vater und nach der Nase des Vaters gegangen war, und jetzt sollte sich das ändern. Also ging es darum, die Mutter zu sein.
    Das Dilemma mit der allerfurchtbarsten Mutter kann man lösen, habe ich gedacht, indem man nur fest entschlossen und laut genug sagt, daß man es anders macht. Nur – dann hat man es zwar furchtlos, aber immer noch nicht gelöst.
    Lautsagen ist ein bißchen wie Im-Wald-Singen.
    Nun, die siebziger Jahre waren um, und viele Frauen, die etwas voreilig und über Zimmerlautstärke sich und der Welt das Muttersein neu in den Wald gesungen hatten, sind dann doch lieber rasch noch zum staatlichen Heiratsamt.
    Deshalb wollte ich lieber kein Kind.
    Außerdem dachte ich, bevor so ein Kind geboren wird, sollte man höflichkeitshalber die Wohnung aufräumen. Auch ohne ein Kind wäre Aufräumen und Putzen nicht schlecht gewesen, aber man kann sich daran gewöhnen, in einer ungeputzten Wohnung zu leben. Manchmal gerät man in Panik und denkt, jetzt wächst es mir über den Kopf, aber solange man halbwegs den Überblick hat, ist es nicht wirklich gefährlich. Man gerät auch in Panik, wenn man anfängt zu putzen und aufzuräumen, weil man denkt, daß es reine Vergeudung von Zeit und Lebenskraft ist. In der Zeit liest du zwei bis drei Bücher oder sitzt in der Küche und denkst, und also ist Putzen und Aufräumen nicht einfach Zeitvergeudung, sondern die reinste Verblödung. Ist es.
    Jeder, der einmal mit Nachdenken anfängt, hat augenblicklich die schrecklichste Angst vor Verblödung. Auch vor dem Verrücktwerden natürlich, aber fast noch mehr vor Verblödung. Deswegen ist es wirklich praktisch gewesen die ganze Zeit und die paar tausend Jahre vorher mit der Regelung zwischen Männern und Frauen, zwischendurch war es eine Weile
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