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Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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war so gut wie im praktischen Jahr, und also habe ich sie nach den Sorten gefragt und nach dem Nadelverfahren. Ali hat gesagt, gut, daß du anrufst, ich denke auch schon die ganze Zeit darüber nach. Und dann hat sie angefangen zu reden und zu reden und weitergeredet und weitergeredet, zwischendurch habe ich ein paarmal versucht, sie anzuhalten und zu unterbrechen, aber sie war nicht zu bremsen, sondern hat eine ganze Weile noch immer weitergeredet, und schließlich hat sie gesagt, wie sie diese und jene Beschädigung findet, ob ich sie nicht auch entsetzlich finde, und wie sie nur staunen kann, daß ich den Mut dazu hätte, sie an meiner Stelle hätte jedenfalls nicht den Mut aufgebracht, sich dem auszusetzen, sie hat sich in eine regelrechte Verkrüppelungseuphorie hineingeredet und nicht bremsen und unterbrechen lassen, und besonders unvorstellbar ist ihr gewesen, daß man durch diese Nadel-in-den-Bauch-Piekserei tatsächlich nur einen ganz geringen Teil von Verkrüppelung feststellen könnte, praktisch nur einen Bruchteil, aber den darfst du dann wenigstens abtreiben lassen, unbedingt mußt du dich deshalb trotzdem in den Bauch pieksen lassen, obwohl das seinerseits auch nicht risikolos gemacht werden kann, ein Teil von Verkrüppelungen entsteht erst dadurch, daß die Nadel das Kind erwischt, aber wenn man es nicht macht, würde man sich das vorwerfen später und würde schrecklich büßen. Allein nur daran zu denken, sei ihr schon eine Belastung, hat sie gesagt, und wie das für dich erst sein muß. Sie träume die schrecklichsten Sachen von verkrüppelten Wesen, immer sei irgendwas offen oder ein Flügel nicht dran. Ob ich etwa nicht schrecklich träumen würde, und wie du es schaffst, damit fertig zu werden. Selbst wenn es anfangs völlig in Ordnung ist, stell dir bloß vor, was dann später noch schiefgehen kann. Wenn man raucht, wird es ein ganz kleines Kind, und du rauchst doch. Ganz winzig klein mit Gehirnschaden, wachstumsgestört. Ich habe gesagt, bisher habe ich noch nichts geträumt, aber das kann ja noch kommen. Ich bin zuversichtlich, daß das noch kommt, sprich einfach weiter, dann kommt es bestimmt, und da hat sie gemerkt, daß ich aufhören wollte, mit ihr zu telefonieren. Die Zigarette hat mir nicht geschmeckt in der Telefonzelle, und beim Heimgehen habe ich an Maritta gedacht, weil ich im Ärztehaus wieder gelesen hatte, Maritta du geile Drecksau. Gern hätte ich sie gefragt, wie sie das schafft mit dem beschädigten Kind, ob sie geträumt hat, ein Flügel sei ab und nicht dran, aber dann habe ich gemerkt, daß ich mir das nur ausgedacht habe. Der Floh war so klein gewesen. Wenn man nicht weiß, wen man fragen soll, denkt man sich oft jemand aus, und es ist fast immer besser, jemand Ausgedachten zu fragen, als wenn man wirklich jemanden fragt, aber nun hatte ich leider mit Ali telefoniert, und jetzt fing das an zu wirken.
    Alle Mütter mit kleinen Kindern auf der Straße sahen verzagt und besorgt aus. Wenn man keine Kinder hat, achtet man nicht darauf, aber nachdem der Arzt und Ali die verschiedenen Sorten Beschädigungen und Verkrüppelungen erwähnt hatten, war ich beunruhigt, und dann achtet man plötzlich darauf, wie die Frauen mit Kindern aussehen und ob die Kinder beschädigt oder verkrüppelt sind. Alle waren bunt angezogen, die Kinder waren auch bunt angezogen, weil die Welt tat, als wäre sie rund und bunt und ein einziger Selbstbedienungsverein. Die Kinder sahen nicht direkt beschädigt oder verkrüppelt aus, obwohl sie alle etwas apathisch in ihren Kinderwägen und Buggys saßen, und da weiß man nicht, ob sie laufen können oder es jemals lernen, sie hatten Nuckelflaschen mit Griff in der Hand und im Mund und bunte Mützen auf. Warum haben die Kinder im Sommer Mützen auf, habe ich gedacht und bin beunruhigt gewesen, weil laut Ali und dem Arzt die meisten Beschädigungen im Kopf stattfinden. Alles war rund und bunt, selbst das Zeug in den Nuckelflaschen war rot und gelb, und die Schnuller orange, blau und rosa, bloß die Kinder machten nicht den Eindruck, als hätten sie es sich freiwillig ausgesucht, in diesen Selbstbedienungsverein hineinzugelangen, sie waren vorsichtshalber in ihren Buggys und Kinderwägen befestigt, und die Mütter sahen nicht aus, als könnten sie sich noch erinnern, warum sie die vorletzte Mode mitgemacht hatten, sondern matt und müde und mitgenommen. Jeden Moment, habe ich gedacht, kann eins von den Nuckelkindern aus seiner Trägheit aufwachen und aus dem
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