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Die wahre Koenigin

Titel: Die wahre Koenigin
Autoren: Ruth Langan
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1. KAPITEL
    Schottland (1560)
    Die Schlange der Trauernden zog sich über das Heideland, so weit der Blick reichte.
    Geduldig warteten die Männer, Frauen und Kinder des MacAlpin-Clans, um Alastair MacAlpin die letzte Ehre zu erweisen. In ihrer schlichten bäuerlichen Kleidung aus rauer Wolle, die Hände schwielig von lebenslanger Landarbeit, waren sie meilenweit von ihren Hütten und Feldern zum Schloss ihres Herrn gewandert.
    Neben dem aufgebahrten Leichnam saß in würdevoller Haltung eine junge Frau. Die siebzehnjährige Meredith, Alastair MacAlpins älteste Tochter, nahm die Beileidsbekundungen der Leute entgegen. Volles mahagonifarbenes Haar rahmte ihr ernstes Gesicht und fiel ihr in sanften Wellen bis zur Taille. In ihren schönen grünen Augen stand unsäglicher Schmerz, aber Meredith war stark genug, die andrängenden Tränen zurückzuhalten.
    Neben ihr saßen ihre beiden Schwestern, die um ein Jahr jüngere Brenna mit ihrem rabenschwarzen Haar und Augen von dem tiefen Violett der Heide, und die jüngste, die vierzehnjährige Megan.
    Der schimmernde Bronzeton ihres Haars und ihre goldgesprenkelten Augen verliehen Megan ein Strahlen, das mit dem Glanz der Sonne wetteiferte.
    Brenna und Megan zeigten dieselbe würdige Haltung wie ihre große Schwester. Für Brennas Wesen war es typisch, dass sie im Angesicht des Sturmes die Fassung wahrte. Megan hingegen war über sich selbst hinausgewachsen. Noch nie hatte Megan ihre ungestüme kleine Schwester so ruhig und beherrscht erlebt wie an diesem Tag.
    Die Bauersleute zogen der Reihe nach an dem Leichnam vorbei, bevor sie dem neuen Oberhaupt des Clans ihr Beileid und ihre Loyalität bekundeten. Meredith dankte ihnen mit der Würde und dem Ernst, den ihre neue Rolle ihr abverlangte.
    „Ihr hattet einen guten Lehrmeister, Mädchen.“ Duncan MacAlpin, ein verwitterter alter Mann, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und legte Meredith die knochige Hand auf die Schulter. „Und Ihr habt Eure Lektionen gut gelernt. Ihr werdet den MacAlpins Ehre machen.“
    „Danke, Duncan“, sagte Meredith mit fester Stimme, obwohl sie die Tränen kaum noch zurückhalten konnte. Sie wusste, was sie dem Namen ihres Clans schuldig war. Keinen Moment würde sie in der Öffentlichkeit Schwäche zeigen. Ihre Schutzbefohlenen brauchten jetzt jemanden, der ihnen Halt und Kraft gab. Sie mussten Stärke sehen und Zuversicht.
    Sie drückte den Vorbeiziehenden die Hand, ernst und gesammelt. Später, wenn sie mit ihrer Trauer allein wäre, würde sie dem übermächtigen Druck nachgeben und weinen.
    Hufgeklapper scheuchte die aufgeregt gackernden Hühner über den Hof. Ein Diener öffnete das Tor und ließ Gareth MacKenzie und seine Begleitung ein, ein gutes Dutzend bewaffneter Männer. Die MacAlpins und die MacKenzies waren benachbarte Clans, die seit Generationen in Frieden nebeneinander lebten. Der immense Landbesitz der MacKenzies erstreckte sich von Norden aus bis hin zum Fluss Tweed, der die natürliche Grenze zum Land der MacAlpins bildete.
    „Mein aufrichtiges Beileid, Lady Meredith.“ Gareth MacKenzie neigte den Kopf tief über Merediths Hand. Dann wandte er sich um und betrachtete den Toten. „Ihr wisst sicherlich, wer Euren Vater getötet hat?“
    „Es waren gemeine Feiglinge. Strauchdiebe, die ihn maskiert und im Schutz der Dunkelheit aus dem Hinterhalt überfielen. Duncan sagt, dass es ungefähr ein Dutzend Mann waren.“
    „Ihr habt sie gesehen?“ MacKenzie maß den Alten mit einem durchdringenden Blick.
    „Nur von fern. Ich kam mit Mary von einer Entbindung zurück. Als ich endlich begriff, was da passierte, war die Bande schon verschwunden. Und MacAlpin lag in seinem Blut.“ Ein trockener Schluchzer entfuhr Duncan. „Wir brachten ihn in unserem Wagen hierher, aber es war zu spät. Nicht mal die Medizin von meiner Mary konnte ihn retten.“
    „Und die Pferde? Habt Ihr die nicht erkannt?“, forschte Gareth weiter. Mit grimmigem Blick umklammerte er den Knauf seines Degens.
    Seine Anteilnahme überraschte Meredith. Zwar waren die MacKenzies Nachbarn, aber Gareth hatte sich nie sonderlich für Alastair MacAlpins Wohlergehen interessiert.
    „Die Pferde?“ Der alte Mann starrte ins Leere. „Nein, es war zu dunkel“, sagte er mit gebrochener Stimme. „Und meine Augen werden schwach. Aber meine Arme sind noch stark genug, um ein Schwert zu führen. Ein kurzer Moment früher, und MacAlpin wäre noch am Leben.“
    „Quält Euch nicht mit Grübeleien, Duncan.“
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