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Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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und habe nur immer mehr geheult wegen der Abwaschmaschine. Irgendwann hat mein Vater geklopft und hineingerufen, ob mir schlecht ist, ich habe gesagt, ein bißchen, aber es geht schon gleich wieder vorbei. Mein Vater hat gesagt, die Gorgonzolarahmsoße war zu schwer, sie bringt mich noch um. Hinterrücks durch die Küche.
    Mein Gesicht war vom Wasser schon so gedunsen und zugequollen, daß das Heulen darin gar nicht auffiel, weil die Züge allmählich verschwanden. Meine Mutter hat gesagt, du mußt besser auf dich aufpassen. Komm ein paar Tage her und laß dich ein bißchen verwöhnen, aber ich habe schnell gesagt, es ist schon wieder vorbei. Alle haben zuletzt einen Aquavit getrunken, und nach dem Aquavit, als Weihnachten fast geschafft war, hat mein Vater ganz nebenbei zu Bea gesagt, und wie geht es deinem Araber, und das war Beas algerischer Freund. Es ist sonderbar mit dieser Generation. Sie brechen sich fast die Zunge, wenn sie David aussprechen müssen, obwohl sie nicht eigenhändig die Juden ermordet haben, aber Araber hassen sie auch. Und Russen natürlich. Und die Amis gerade. Obwohl sie das meistens nicht zugeben wollen. Irgendwie haben sie es geschafft, daß man es in den siebziger Jahren nicht so gemerkt hat, obwohl man es immer merken konnte, selbst wenn sie für Brandt auf die Straße gingen, aber im Alter kommt es dann endgültig raus, daß sie sie alle hassen. Schon immer. Ihr Leben lang. Es hat dann nochmal zwei Stunden gedauert. Ali hat zwischendurch etwas von Frühschicht gemurmelt und ist mittendrin heimgegangen. Ich habe auf Bea gewartet, und als sie so weit war, daß wir fahren konnten, habe ich gesagt, laß mich besser fahren, obwohl ich inzwischen auch dies und das getrunken hatte, aber mit Wasser verdünnt. Sie hat gesagt, geh bloß weg, du bist genau wie die Mutter. Mein Vater hatte die Kürbiskerne vergessen, war bei der etlichsten Zigarette und dem Herzinfarkt näher als je zuvor. Bea wollte selber fahren, obwohl es tatsächlich nicht ging, und im Auto hat sie den Faschismus, die Atombombe, den Rassismus in den Vereinigten Staaten und wo überall sonst auf der ganzen Welt, Arno Schmidt und die Seeräuberjenny, alles das, was wir gelernt hatten in der Schule mit Ausnahme der Unterdrückung der Frau, durcheinandergebracht und montiert, gemischt; neu sortiert und ausgelegt. So hilf mir doch. Aber wer. Selbstmord Suff Unfall und Krebs.
    Ich weiß natürlich nicht, wie man bei Ihnen Weihnachten feiert.
    Später hat noch A.C. angerufen. Er war auch betrunken, weil bei ihnen auch Weihnachtsabend gewesen war. Seine Mutter hatte ihm zwölf Baumwollhemdchen, zwölf Baumwolljäckchen und sechs bunte Frotteestrampler geschenkt. Jetzt hatten wir vierundzwanzig Hemdchen und vierundzwanzig Jäckchen und zwölf bunte Strampler. Es kam uns etwas viel vor.
    Nach Weihnachten kam der erste Student. Er kam von Ali und hatte eine Doppelblind-Untersuchung gemacht. Doppelblind-Untersuchungen sind etwas, was mich sehr interessiert. Man gibt hundert Leuten ein Medikament und hundert anderen etwas, was aussieht wie ein Medikament, aber mit Traubenzucker gefüllt ist oder mit Mondamin, oder was sie da reintun, und nachher schaut man, ob sie gesund geworden sind oder krank geblieben. Wenn man über Doppelblind länger nachdenkt, wird man verrückt.
    Gut.
    Nun, Sie müssen ja nicht.
    Jedenfalls hatte der Student nachgewiesen, daß soundsoviele vom Traubenzucker gesund geworden waren. Leute, die Doppelblind-Untersuchungen machen, müssen Sadisten sein, sonst halten sie es nicht aus. In der Arbeit stand, wenn es von Traubenzucker weggeht, ist es psychosomatisch. Oder vielleicht simuliert. Und wenn es psychosomatisch ist, ist man mehr oder weniger selber dran schuld. Das war damals das Tückische an dem Selbstbedienungsverein: wenn du Kopfschmerzen hattest, hattest du nicht etwa Kopfschmerzen, sondern etwas gemacht, wovon dein Kopf Schmerzen bekam. Im günstigsten Fall hast du simuliert, weil du dann etwa auf der Höhe der Zeit warst. Jedenfalls hast du es selbst gemacht. Immerhin war es mit Traubenzucker und Mondamin zu kurieren. Eine Weile lang war das Mode, bevor dann die Viren kamen und die Krankheiten ansteckend wurden.
    Der Student hat sich sehr gefreut, daß die Sache noch rechtzeitig fertig wurde, dann hat er gesagt, wenn ich bestanden habe, gebe ich einen aus, und ist eilig zum Bahnhof gefahren, um vor Mitternacht noch seinen Poststempel abzubekommen, weil die Post am Bahnhof bis Mitternacht heutige Stempel
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