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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Autoren: Gianrico Carofiglio
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vor allem die, die wie ich von außerhalb kommen, haben folgende Lösung gefunden: Man wendet sich an einen Pförtner, bittet ihn, sich um die betreffende Angelegenheit zu kümmern, und überreicht ihm ein geknicktes Blatt Papier mit der eigenen Handynummer, in dem ein Zwanzig-Euro-Schein steckt.
    Dann geht man, und von diesem Moment an schreckt man jedes Mal hoch, wenn das Handy klingelt, denn es könnte ja der Pförtner sein, der mit sachlichem Ton den Ausgang des Prozesses verkündet.
    Bei mir war das der Fall, als ich schon am Flughafen war. Ich war kurz vor dem Einsteigen und wollte gerade mein Handy ausschalten.
    »Herr Guerrieri?«
    »Ja?«
    »Der Ausgang Ihres Revisionsprozesses. Das Gericht hat Ihren Antrag abgewiesen. Die Kosten gehen zu Ihren Lasten. Guten Abend.«
    Guten Abend, sagte ich zu dem stummen Telefon, denn der Mann hatte sofort aufgelegt, um jemand anderes anzurufen und ihm seine persönliche Urteilsverkündung (zu einem günstigen Tarif) zukommen zu lassen.
    Im Flugzeug versuchte ich vergeblich zu lesen. Ich dachte an den Moment, in dem ich meinem Mandanten sagen musste, dass er innerhalb von wenigen Tagen ins Gefängnis wandern und dort mehrere Jahre verbringen würde. Diese Aussicht löste eine unangenehme Traurigkeit in mir aus, gemischt mit einem Gefühl der Niederlage.
    Ich weiß. Er hatte gedealt, das heißt, er war kriminell gewesen, und wenn sie ihn nicht geschnappt hätten, würde er vielleicht immer noch weiterdealen und gut dabei verdienen. Aber in den Jahren zwischen der Festnahme und dem Urteil des Obersten Gerichtshofs war er ein anderer Mensch geworden. Ich fand es einfach unerträglich, dass sich die Vergangenheit plötzlich erhob, in der aseptischen und grausamen Gestalt eines endgültigen Urteils, und alles zerstörte.
    Nach so vielen Jahren kam mir das vor wie eine unerträgliche Grausamkeit. Die dadurch umso unsinniger war, dass man niemandem die Schuld geben konnte.
    Während ich das dachte, überkam mich ein leichter, kranker Schlaf. Als ich die Augen wieder öffnete, waren die Lichter der Stadt ganz nah.

4
    S obald ich wieder zu Hause war, rief ich meinen Mandanten an. Ich versuchte, die kompakte Stille zu ignorieren, die entstand, als ich es ihm sagte. Ich versuchte das Leben, das in jener Stille zerriss, zu ignorieren, und als ich auflegte, dachte ich mir, dass ich langsam zu alt für diesen Beruf war.
    Dann versuchte ich mit dem, was ich im Kühlschrank fand, ein Abendessen zuzubereiten, aber in Wirklichkeit schüttete ich vor allem eine ganze Flasche vierzehnprozentigen Primitivo-Wein hinunter. Ich schlief wenig und schlecht, und das ganze Wochenende war wie eine lange, zähe, graue Überfahrt. Am Samstag ging ich ins Kino und wählte den falschen Film aus. Am Ausgang erwartete mich feiner, unbarmherziger Regen. Es regnete auch noch den ganzen Sonntag, den ich zu Hause mit einem Buch verbrachte, doch das Buch war nicht das richtige. Das Beste an diesem Tag waren ein paar Episoden von »Happy Days«, die auf einem Satellitensender liefen.
    Als ich am Montagmorgen aufstand, sah ich, dass zwischen ein paar Restwolken die Sonne durchkam. Ich freute mich, dass das Wochenende vorbei war.
    Ich verbrachte den ganzen Morgen bei Gericht, mit unbedeutenden Urteilen und Formalien.
    Am Nachmittag ging ich in die Kanzlei. Meine neue Kanzlei. Es gab sie zwar schon seit vier Monaten, aber jedes Mal, wenn ich die schwere Panzertür aufdrückte, auf der der Architekt bestanden hatte, überkam mich ein Gefühl der Verwirrung. Wo zum Teufel war ich? Und vor allem: Wer hatte mich dazu gebracht, meine alte, kleine, behagliche Kanzlei zu verlassen und an diesen fremden Ort umzuziehen, der einen chemischen Geruch nach Plastik, Holz und Leder verströmte?
    In Wirklichkeit hatte es eine Reihe hervorragender Gründe für diesen Umzug gegeben. So hatte zunächst Maria Teresa endlich ihr Jura-Examen gemacht und mich gefragt, ob sie in meiner Kanzlei bleiben könnte – aber als Praktikantin, nicht mehr als Sekretärin. Daraus hatte sich die Notwendigkeit ergeben, jemanden für das Sekretariat zu finden. Ich stellte einen etwa sechzigjährigen Mann namens Pasquale Macina ein, der viele Jahre für einen älteren Kollegen gearbeitet hatte und arbeitslos geworden war, als dieser starb.
    Ungefähr zur selben Zeit bat mich ein befreundeter Universitätsprofessor, seine Tochter, die Strafrecht studierte, in meine Kanzlei aufzunehmen. Sie hatte ihre Referendarzeit bereits hinter sich, aber sie hatte in
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