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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Autoren: Gianrico Carofiglio
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der Kanzlei ihres Vaters immer nur Zivilrecht gemacht und gemerkt, dass ihr das überhaupt nicht lag.
    Consuelo ist adoptiert und kommt ursprünglich aus Peru. Ihr Gesicht ist rund und pausbackig, was nett und lustig aussieht wie bei einem Goldhamster. Es gibt allerdings Momente, in denen man ihren Gesichtsausdruck alles andere als lustig nennen würde. Wenn Consuelos schwarze Augen aufhören zu lächeln, ist ihre Botschaft ganz einfach: Wenn ich nicht mehr kämpfen soll, müsst ihr mich eben umbringen.
    Ich holte sie in die Kanzlei, und so war die Zahl der Beschäftigten innerhalb weniger Monate von zwei auf vier angewachsen, und das in einem Büro, das vorher schon eher klein gewesen war und jetzt aus allen Nähten platzte.
    Ich musste neue Räume suchen. Ich fand eine große Wohnung in der Altstadt, sehr schön, aber renovierungsbedürftig. Ich mag Renovierungsarbeiten ungefähr so gern wie Darmspülungen. Der Architekt, den ich ausgesucht hatte, hielt sich für einen Künstler und wollte nicht mit Banalitäten wie der Meinung des Auftraggebers oder mit Nebensächlichkeiten wie Kosten von Materialien oder Möbeln oder gar Honorarfragen behelligt werden.
    Es dauerte drei albtraumhafte Monate, bis die Renovierung beendet war. Ich hätte zufrieden sein sollen, aber es gelang mir einfach nicht, mich an die neue Situation zu gewöhnen. Ich konnte mich einfach nicht mit der Art von Anwälten identifizieren, die solche Kanzleien hatten. Wenn ich früher so eine Kanzlei betrat – bevor ich selbst so eine hatte –, dachte ich immer, dass der Besitzer ein armer Idiot war. Jetzt war ich selber dieser arme Idiot, und es fiel mir schwer, das zu akzeptieren.
    Ich schloss die unnütze Panzertür hinter mir, begrüßte Pasquale, begrüßte Maria Teresa, begrüßte Consuelo und schloss mich in mein Zimmer ein. Ich fuhr den Computer hoch und hatte kurz darauf die Termine des Nachmittags auf dem Bildschirm. Es waren drei. Der erste mit einem Techniker von der Stadtverwaltung, der gern Trinkgelder annahm für seine Dienste. Juristisch heißt so was Bestechung und ist ein ziemlich unerfreuliches Vergehen. Der Funktionär hatte eine Hausdurchsuchung durch die Finanzpolizei hinter sich und war jetzt panisch vor Angst, weil er sicher war – nicht ohne Grund –, bald verhaftet zu werden. Der zweite Termin war mit der Frau eines alten Mandanten, eines professionellen Einbrechers, der gerade zum x-ten Mal festgenommen worden war. Zum Abschluss dann würde mein Kollege Sabino Fornelli mit seinen Mandanten zu mir kommen wegen jenes Falls, über den man nicht am Telefon sprechen durfte.

5
    F ornellis Mandanten waren ein Mann und eine Frau. Ein Ehepaar, beide etwa zehn Jahre älter als ich, schätzte ich, als ich sie sah. Ein paar Tage später, als ich die Akten mit ihren Personalien las, sollte ich feststellen, dass wir beinahe gleich alt waren.
    Der Mann rührte mich besonders. Der leere Blick, die gebeugten Schultern, die zu weiten Kleider. Als ich ihm die Hand gab, traf ich auf ein wirbelloses, unglückliches Lebewesen.
    Die Frau wirkte normaler, sie war relativ sorgfältig gekleidet, aber auch ihre Augen hatten etwas Krankes, was auf eine seelische Verletzung zurückzuführen war. Ihr Eintreten war wie ein feuchter, kalter Windstoß.
    Das gegenseitige Vorstellen war von einer leichten Beklemmung begleitet, die die ganze Zeit über nicht weichen sollte.
    »Herr und Frau Ferraro sind seit vielen Jahren meine Mandanten. Tonino, Antonio …« Er wandte sich zu dem Mann, wohl in der Befürchtung, ich könne denken, dass die Frau Tonino hieß. »… hat mehrere Einrichtungs- und Küchenhäuser in Bari und der ganzen Provinz. Rosaria ist Gymnastiklehrerin, aber seit ein paar Jahren unterrichtet sie nicht mehr und hilft ihm bei der Buchhaltung. Sie haben zwei Kinder.«
    An dieser Stelle brach er ab und blieb stumm. Ich sah erst ihn an, dann Antonio, Rufname Tonino, dann Rosaria. Am Ende sah ich wieder ihn an, wobei das fragende Lächeln, das ich aufgesetzt hatte, langsam zu einer Grimasse wurde. Von draußen hörte man ein Geräusch von aufeinanderprallendem Blech, wahrscheinlich ein Auffahrunfall. Fornelli sprach weiter.
    »Eine Tochter, das ist die Ältere, und einen Sohn, den Kleinen, der sechzehn ist. Er heißt Nicola und geht aufs naturwissenschaftliche Gymnasium. Das Mädchen heißt Manuela, sie ist zweiundzwanzig und studiert in Rom an der Luiss-Universität.«
    Er machte eine Pause, als wolle er Atem schöpfen oder seine Kräfte
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