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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Worte sagte er beinahe so, als wolle er sich rechtfertigen. Als habe er plötzlich gemerkt, dass er vielleicht zu weit gegangen war. Deshalb wollte ich ihm schnell etwas erwidern.
    »Danke. Das geht mir auch so, schon seit meiner Kindheit. Nur dass ich es noch nie so gut ausgedrückt habe.«
    Bevor ich das Taxi verließ, gab ich ihm die Hand, und während ich mich wieder in einen Anwalt verwandelte, dachte ich, dass ich am liebsten dort geblieben wäre, um mich weiter über Bücher und andere Dinge zu unterhalten.
    Ich war mindestens eine Stunde zu früh da. Das Verfahren kannte ich in- und auswendig, so dass es überflüssig war, noch einmal in die Akte zu schauen, und so beschloss ich, einen Spaziergang zu machen. Ich überquerte den Tiber auf dem Ponte Cavour. Das Wasser war gelblichgrün und funkelte fröhlich wie Quecksilber. Es waren nicht viele Leute unterwegs, vereinzelt hörte man gedämpfte Motorengeräusche und Stimmen im Hintergrund. Ich hatte das starke und wunderbar sinnlose Gefühl einer grandiosen Ruhe, die nur für mich allein geschaffen worden war. Jemand hat einmal gesagt, dass das Glück uns dann überkommt, wenn wir nicht damit rechnen und – oft genug – wenn wir es nicht einmal merken. Wir merken es erst dann, wenn es vorbei ist, und das ist wirklich dumm. Auf dem Weg zur Ara Pacis kam mir eine Episode in den Sinn, die bereits ein paar Jahre zurücklag.
    Ich bereitete mich damals mit zwei Freunden auf die letzten Prüfungen vor dem Staatsexamen vor. Wir hatten uns angefreundet, weil wir zusammen lernten, zur selben Zeit unsere Examensarbeit schrieben und zusammen fertig werden würden. So etwas verbindet, zumindest ein wenig. In Wirklichkeit waren wir sehr unterschiedlich und hatten sehr wenig gemeinsam. Angefangen bei unseren Zukunftsplänen. Ich meine, sie hatten welche und ich nicht. Sie hatten Jura studiert, weil sie Richter werden wollten, ohne den Hauch eines Zweifels, mit großer Überzeugung. Ich hingegen hatte Jura gewählt, weil ich nicht wusste, was ich studieren sollte.
    Diese Überzeugung der anderen betrachtete ich mit gemischten Gefühlen. Ein Teil von mir behandelte sie mit Herablassung. Ich fand, dass meine Freunde einen engen Horizont und bescheidene Träume hatten. Ein anderer Teil von mir beneidete sie jedoch um diese klare Perspektive, diese deutliche Vorstellung von dem, was sie von der Zukunft erwarteten. Das war etwas, was mir fremd war, was ich nicht nachvollziehen konnte und was in meinen Augen etwas mit Sicherheit zu tun hatte. Ein Gegenmittel für die unterschwellige Angst, die meine verschwommene Weltsicht auszeichnete.
    Gleich nach dem Staatsexamen fingen die anderen schon an, wie wild für die Referendarprüfung zu lernen, ohne sich eine Pause zu gönnen. Ich hingegen fing an, wie wild herumzuexperimentieren. Ich machte ein für mich vollkommen sinnloses Praktikum in einer Kanzlei für Zivilrecht, überlegte mir, absurde Kurse an ausländischen Universitäten zu absolvieren oder mich an der Fakultät für Geisteswissenschaften einzuschreiben, beschäftigte mich mit einem Roman, den ich schreiben wollte und der mein Leben und das seiner zahlreichen Leser verändern würde und von dem ich Gott sei Dank keine einzige Zeile zu Papier brachte. Kurz gesagt, ich hatte genaue Vorstellungen und klare Ziele.
    Dank dieser klaren Ziele beschloss ich überraschenderweise, mich auch fürs Richteramt zu bewerben, als die Ausschreibung veröffentlicht wurde. In dem Moment, in dem ich Andrea und Sergio dies mitteilte, machte sich eine leichte Verlegenheit zwischen uns breit. Sie fragten mich, was ich mir eigentlich dachte, da ich bekanntlich seit dem Examen kein Buch mehr in die Hand genommen hatte. Ich erwiderte, dass ich dann eben in den drei Monaten bis zur schriftlichen Prüfung lernen würde und dass ich es einfach versuchen wollte. Vielleicht würde mir ja währenddessen einfallen, was ich mit meinem Leben anfangen wollte.
    Ich versuchte in den wenigen Monaten tatsächlich zu lernen, denn klammheimlich hegte ich die Hoffnung auf ein Wunder, eine Abkürzung, eine magische Wendung. Der Traum aller Großmäuler.
    Später, an einem Februarmorgen inmitten der dummen Achtzigerjahre brachen Andrea Colaianni, Sergio Carofiglio und Guido Guerrieri dann mit dem alten Alfa Sud von Andreas Vater auf, um in Rom an der großen Prüfung für das Richteramt teilzunehmen.
    Von dieser Reise sind mir nur einzelne Fragmente in Erinnerung geblieben – Momentaufnahmen einer Tankstelle, Kaffee,
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