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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht
Autoren: Doris Knecht
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Recht so. Philipp, wie immer online, gefällt das auch, plus, er will wissen, seit wann Gruber bitteschön ein RA D hat. Und dann gleich, ob Gruber überhaupt noch fahren kann. Hahaha. Lustig. Die Mutter läuft hinter dem Kind her, fängt es ein und trägt es dann unter dem Arm zurück. Das Kind zappelt und quietscht. Die Frau tadelt das Kind, doch ihre Stimme klingt dabei fröhlich, und sie lacht. Das Kind lacht auch. Was, wenn Sarah doch noch Zeit hat, und was wenn sie von Grubers gestrigem Auftritt so geschockt ist, dass sie diese Zeit gegen ihre bisherige Überzeugung doch noch nutzt? Er will, wird Gruber schlagartig klar, er will nicht, dass sie die Zeit nutzt. Er will sein Kind davonrennen sehen, will seinem Kind nachlaufen, will sein Kind unter seinen Arm packen. Er will von seinem Kind angelacht werden. Er will spüren, wie sein Kind in seinem Arm schläft und atmet. Er will das Kind. Vielleicht braucht er das Kind. Um seine Zukunft heranzulocken, so ein Kind ist für eine Zukunft und ihre Heranlockung definitiv besser als ein Sofa. Abgesehen davon, dass es zuverlässig weniger schmerzhaft ist, ein Sofa zurückzulassen als ein Kind. Auch für das Sofa. Trotzdem, er will das Kind. Er braucht das Kind. Und er kann sich sein Kind jetzt vorstellen. Es wird seine Augen haben und Sarahs Haare. Es wird sehr süß sein. Er muss Sarah anrufen. Er muss bloß vorher nur noch dieses Rad finden, dieses Scheißrad, dieses verfickte Arschlochscheißrad, Kruzitürken.

Ich kannte einmal einen, der ist am Fluss aufgewachsen. Der hat mir erzählt, wie der Fluss immer gerauscht hat. Das Rauschen des Flusses war immer da, bei Tag und Nacht, im Sommer und im Winter. Und ganz hinten in diesem Rauschen drin hörte er, hat er mir erzählt, immer auch ein drohendes Mantra: Irgendwann komme ich. Irgendwann hole ich dich. Irgendwann nehme ich dich mit. Es war, hat er mir erzählt, als spräche der Fluss zu ihm. Sein Großvater hatte ihm wieder und wieder vom Jahrhunderthochwasser erzählt, von der großen Flut, von den toten Menschen und den toten Tieren. Tote Kühe, Schweine, Ziegen, tote Schafe und tote Hunde, die den Fluss hinabtrieben, mit den Bäuchen nach oben. Er hat mir erzählt, wie er als Kind in der Nacht zitternd in seinem Bett gelegen und dem Fluss zugehört hat, wie der ihm zumurmelte, dass er bald kommen und ihn auch holen werde. Später, als er größer wurde, habe er, hat er erzählt, irgendwann einfach nicht mehr darauf geachtet, er habe es einfach ignoriert und ausgeblendet, was der Fluss murmelte, er habe sich klargemacht, dass ein Fluss keine Worte hat, ein Fluss rausche nur, und das Rauschen werde von den meisten Menschen als beruhigend empfunden. Schließlich sei es ihm auch gelungen, in dem Flussrauschen nur noch ein beruhigendes, meditatives Geräusch zu hören, nur das Rauschen strömenden Wassers, nichts als ein Rauschen. Nur in ganz, ganz finsteren, schlimmen, sternenlosen Nächten habe die Rede des Flusses sein Bewusstsein wieder erreicht, habe er die Stimme wieder gehört, sein Mantra, ich komme, ich hole dich, irgendwann nehme ich dich mit. Er sei siebzehn gewesen, als das große Hochwasser kam, als der Fluss fett und fetter wurde und dann sein Bett verließ und das Ufer überspülte und in das Haus trat, und die Küche und das Wohnzimmer bis knapp unter die Decke füllte, die Türen zerschlug, Stahltüren verbog, die Fenster hinausdrückte, die Möbel aus dem Haus schwemmte. Und dann auch ihn aus dem Haus riss, als er versuchte, irgendein lächerliches, unwichtiges Ding zu retten – er hat mir gesagt, was, aber ich hab es vergessen –, und ihn fortnahm im braunen Wasser. Und er habe ganz deutlich den Fluss flüstern gehört: Jetzt bin ich da, jetzt nehme ich dich mit, jetzt hab ich dich. Und dann habe es ihn mitgerissen wie einen morschen Stock, und irgendwann, als er sich schon nicht mehr gewehrt habe gegen den Fluss und seine Kälte und seine Kraft, als er sich schon kaum mehr lebendig fühlte, habe es ihn gegen eine Weide geschleudert, deren Äste ins Wasser hingen. Und irgendwie habe er sich daran festklammern können, mit Armen und Beinen. Die Feuerwehr habe ihn nach einer Endlosigkeit gefunden und herausgefischt. Danach habe der Fluss nie mehr mit ihm gesprochen. Aber er sei bis heute nicht gern in der Nähe von Flüssen, er fürchte permanent, dass sie zu murmeln und zu flüstern beginnen und ihm drohen und ihn mitnehmen wollen.
    Und nach diesem Abend, als ich mit John redete und als John
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