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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn
Autoren: Karl Bleibtreu
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Schwertes, nie ruhend in seiner Hand, stumpft sich endlich ab, biegt sich – man entwindet es ihm wieder und die alten Träger des Schwertes herrschen aufs neue. So kehrt äußerlich Alles zum Alten zurück, weil dies als dauernder Zustand naturgemäß, aber die innere Umformung der Weltbedingungen durch die kurze Herrschaft des Geistes wirkt auf Jahrhunderte fort. Und wiederum wiederholt sich dann später dasselbe Spiel.
    Die Feder mißvergnügter Litteraten aber ist es, die in alle Eiterbeulen hineinsticht und heilendes Arsenik spritzt in die allgemeine Fäulniß des Bestehenden. Auf die Heldenfeder der Luther, Milton, Voltaire, Rousseau folgt die Agitatorfeder der Hutten, Swift und Mirabeau und auf diese die Blutsauger- und Revolverpresse der Marat, Desmoulins, Chaumette. Mit der verhundertfachten Macht der Presse steigt natürlich ihre zersetzende Aggressivkraft . Wie aber könnte die Publizistik diese hohe Aufgabe erfüllen, wenn Gerechtigkeit und Humanität sie schwächten ? Erst in der hohen Schule der rohen Interessenpolitik, der Charakterlosigkeit, der Bosheit und vor allem des Neides (dieser Spiralfeder der gesellschaftlichen Entwicklung) wird sie dem Zweck gerecht: Unter dem Druck der Luftpumpe einer stabilen mechanischen Gesellschaftsordnung für die menschlichen Leidenschaften ein Sicherheitsventil zu öffnen .
    Denn zwischen der Welt als Ganzes und dem Menschen im Einzelnen besteht ein wunderbarer, ob auch weise berechneter, Gegensatz. Die Menschen sind nicht schlecht, wie Misanthropen lügen, sondern bei der Mehrheit überwiegt das Gute. Die menschliche ›Gesellschaft‹ hingegen ist schlecht durch und durch, weil sie auf den menschlichen Leidenschaften erbaut. Die gewöhnlichen Durchschnittsgefühle der Menschen sind gut, jeder Ueberschwang des Gefühls aber als Leidenschaft wirkt böse und entpuppt nur die selbstsüchtige Seite der Menschennatur. Die Durchschnittsgefühle aber sind sämtlich passiv, die Leidenschaften activ und nur die letzteren setzen sich daher herrisch durch. Auf eine edle Leidenschaft kommen hundert schlechte. Dies der Grund, warum in dieser besten aller Welten die Dummheit und die Ungerechtigkeit regiert, obschon die Menschen selbst meist gutartig. Dies der Grund, warum jeder Ungewöhnliche nur durch wüsten erbitterten Kampf die Anerkennung seines Herrscherrechts erzwingt, warum der Geist stets über den Buchstaben purzelt, warum alle Schaffenskraft auf Erden systematisch eingeengt.
    Dies aber soll sein, da nur so der ringende Geist sich stählt. Ränge er nicht mit der Welt, so würde ihm der unablässige Ringkampf an Jakobs Furth die Hüfte verrenken. Früher gab es die Geistestyrannei des Clerus, des Feudalsystems, des Sultanismus. Dies alles schwand und schwindet mehr und mehr. Wo also soll der Geist jene stabile Masse finden, an deren erdrückendem Bleigewicht er seine Freiheit erproben soll? Es giebt nur eine: Die Presse .
    Sie aber, Liebster, beflecken Sie nicht Ihre reine Hand mit diesem Marterwerkzeug! Schmeißen Sie Ihre Feder in den nächsten Kamin! Das räth Ihnen Ihr wahrer Freund
    Leonhart.«
     
    Auch dieser Brief selbst wanderte in den Kamin, wohin ihm ja die Feder Krastiniks vorangeeilt. Der Graf sammelte alle Briefe des Todten, die er bewahrt, und verbrannte sie sorgfältig. Ein symbolisches Verbrennen aller Schiffe hinter sich, einer traumhaften Vergangenheit. Hart und wesenhaft stand die Zukunft vor ihm da. Und statt der Feder schreibe jetzt das Schwert .
    – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
    Er trat auf den Altan und blickte hinaus in die untergehende Sonne. Welche Schlachtfelder wird sie beleuchten, bald, wie bald! Ob auch ein Pultawa?
    Der alte Dichterinstinkt regte sich; nur versuchte er nicht mehr, mit Worten das innen Geschaute herauszukünsteln,. sondern begnügte sich mit dem Schauen selber. Ihm war, als sähe er ein anderes Feld vor sich bei untergehender Sonne, und darüber wandelnd einen einsamen Mann: Als sähe er auf der Ebene von Lützen, ehe jener zu neuem Kriege nach Rußland eilte, den schwedischen Pyrrhus, Karl XII. Und ihm war, als höre er die stummen Gedanken des Helden: – –
    »Wie sie dort niedertaucht, die müde Sonne! Sie, die im Diadem des eignen Glanzes gethront auf angeglühter Wolken Sitz, sie, deren Leuchtkraft die Gestirne nährte – und nun so matt, so todesmatt versinkend! Ihr letzter Blick haucht Weihe ringsumher, verklärt im Scheiden noch die
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