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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn
Autoren: Karl Bleibtreu
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ein Schwarm Spatzen einen Adler mürbe zupft. Aber darum foll man doch nicht mit Kanonenkugeln gegen Spatzen schießen, denn damit trifft man sie am schlechtesten. Gegen die Spatzen-Verschwörungen der Welt hilft keinerlei Waffe. Sie zersausen sich schon untereinander ums liebe Futter; so lösen sie sich selbst in Wohlgefallen auf.
    Bei dieser Spatzen-Theorie flogen ihm unwillkührlich all die Spatzenschwärme vorüber, die im Leben herumpiepen. Da sind die magern Spatzen mit geblähtem aristokratischem Kropf, die dem sogenannten »Staate« ihre Dienste weihen. Jeder dieser Wichte hält sich für ein hochwichtiges Rad des Regierungswagens und alles, was außerhalb dieser Sphäre liegt, für untergeordnetes Unterthanengesindel. Jeder muß kriechen vor Jedem über ihm – der Hauptmann vorm Obersten, der General vorm Commandirenden, der Regierungsrath vorm Geheimrath, der Geheimrath vorm Minister, und alle miteinander kriechen bäuchlings vor jedem gräflichen Hofschranzen und Titularlakeien, um endlich vor »höchsten und allerhöchsten Herrschaften« einen Veitstanz des Byzantinismus aufzuführen. Der Adelspöbel vollendet dies größenwahntolle Strebergepiepe als Massenchorus. Jeder dieser Leute hält sich für hochanständig und bieder, weil er keine silbernen Löffel stiehlt, die bürgerliche Moral intus hat, und dem Nebenmanne nur indirekt das Futter vor der Nase wegstiehlt. Von Interesse für höhere Dinge keine Spur; die Begriffe der höheren Moral nie auch nur geahnt. Alles eingezäunt in den engsten Kreis hochtrabender Berufspflichten, die höchstens ein fleißiges Biberthum oder eine Fuchsschläue ausbilden können. Zu dieser »Gesellschaft«
par excellence
gesellt sich nun noch das fette Protzenthum, sei es als Finanzparvenü und Waarenfeilscher jeder Sorte, sei es als Juristen-Rechtsverfälschung, sei es als Gelehrtendünkel Maulwurfshügel für Alpen ansehn, darin beruht der eigentliche Scharfsinn der lieben Welt. Unter den sogenannten »Wissenschaften« stellt lediglich die Chirurgie und die exakte Naturwissenschaft noch etwas Reales vor, schlägt aber ins Urkomische um, wenn sie aus ihrer Seichtigkeit eine Weltanschauung zurechtzimmern will und in kindlichem Unfehlbarkeitsdusel über höhere Gebiete aburtheilt, wie Dubois-Reymond einmal über Goethes »Faust«. Und neben diesen werthlosen Wust und Krimskrams setzt endlich auch noch das Allererbärmlichste, die »Aesthetik«, ihr Häufchen windiger Spreu. Da wimmelt es von Shakespeare-Jahrbüchern und Goethe-Jahrbüchern daß Einem Hören und Sehen vergeht. Von einem Verständniß der Meister natürlich keine Ahnung, statt dessen geistlose Compilationen über jeden Hosenknopf, den man irgendwo in einem Kehricht entdeckte – steht weit abseit, ihr Profanen! Da entdeckt Einer einen Dritten Theil des »Faust« und beweist, daß der erste Theil ursprünglich in Prosa geschrieben. Darauf aber wird die Urschrift entdeckt, natürlich in Versen – welterschütternde Großthat! So wird Einer dieser Goethepfaffen stets vom Andern abgethan. »Was ist das für ein Gewäsch über den Faust! Gebt mir 3000 Thaler jährlich und ich schreibe euch einen Faust, daß ihr die Schwerenoth kriegt!« rief der titanische Grabbe. In reklame-berühmten Litteraturgeschichten wird daher auch »der thörichte Grabbe« mit einem Fußtritt bei Seite geschleudert. Andre »christliche« Litteraturgeschichten erfrechen sich, den »frivolen Juden Heine« als eine dreiste Null abzuthun. So etwas nennt sich in Deutschland ästhetische Wissenschaft.
    O Tollheit, o unergründliche Dummheit der Menschen! Dieses Corps der Rache rümpft die Nase über »moderne Litteraten« und schwindelt einen seichten Reklamegötzen in die Akademie der Wissenschaften hinein: Denn man finde in unsrer traurigen Zeit der Decadence keinen »Litteraten«, sondern nur einen germanistischen Litterarhistoriker würdig, in so illustrer Genossenschaft zu thronen!
    Ja, so wird man »groß« in dieser Welt des Humbugs. Man schmiert eine von gröbstem Cretinismus strotzende Litteraturgeschichte, in der man mit oberfauler »Gelehrsamkeit« die scheußliche Lachmannsche Theorie über das Nibelungenlied wiederkäut und über Goethe in heuchlerische Verzückungen geräth, um die »Epigonen« herzlos mit blödem Unverständniß abschlachten zu dürfen. Dann verschafft man sich vor allem einen Nachschub von liebedienerischen Scholaren und schmuggelt dieselben auf alle leer werdenden Lehrstühle ein. Stirbt man dann, so hat man
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