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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn
Autoren: Karl Bleibtreu
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Dinge zu schwarz oder zu rosig, sieht Teufel und Engel, wo doch nur armselige schwache Menschenkinder ihren kindlichen Unfug treiben.
    Jaja, Abwechselung muß sein. Hier allein von seiner Erhabenheit zehren und verbauern ging nicht an. Das fühlte er jetzt deutlich genug. Erst an Menschenauffassung kann sich eine feste Weltanschauung erproben. Sich absondern von der Menge, verräth wenig Muth. Man soll die Welt nicht bessern wollen, man soll sie verstehen. Und immer klarer und ruhiger durchschaute er das Problem des Heerden-Mechanismus der Gesellschaft.
    Alle Regeln sind falsch, weil sie lauter Ausnahmen zulassen. Dieses bekannte Paradoxon enthält eine Tiefe der Lebenserfahrung, welche nur Wenige ahnen. Alles gilt nur von Fall zu Fall. Das Wesen der Genialität besteht daher in der Sicherheit, für jeden einzelnen Fall die entsprechende Regel zu finden.
    Lebensregeln, Moralregeln, Kunstregeln? Es giebt keine. Jede Kraft ist sich selbst Gesetz, nur die conventionellen Schein-Puppen schwatzen von unumstößlichen Gesetzen. Darum sollte auch andrerseits das Genie seine apodiktischen Lehren unterlassen, da es das psychologische Moment nie berücksichtigt und stets von sich selbst aus schließt. So stellt z.B. Napoleon Grundsätze der Kriegskunst auf, als wären dies unerschütterliche Normen, obschon dieselben jede mittlere Feldherrnbegabung sicher ruiniren würden. Gewiß siegt meist der Angreifer, obschon der gesunde Menschenverstand das Gegentheil annimmt, weil die eigene Initiative den Gegner fesselt. Allein, wer falsch angreift, wird grade so gut geschlagen. Auch das Umgehen des Feindes mit der ganzen Masse, statt mit einzelnen Corps, losmarschirend auf des Feindes Rückzugslinie und die eigene preisgebend, mag als eine strategische Idee gelten, die in ihrer Einfachheit die seltenste Großartigkeit entfaltet, aber einen minder entschlossenen Feldherrn in unabwendbares Verderben verstricken würde. – In Masse vorbrechen, statt sich zu zersplittern, ist ein herrlicher Grundsatz. Aber wenn die geologische Lage dies nicht zuläßt, so soll man es auch nicht versuchen.
    Leonhart fröhnte diesem Prinzip des Masse-Bildens: weil aber die geologischen und atmosphärischen Verhältnisse des deutschen Geisteslebens in Gestalt der gedruckten Litteratur dem zuwider lagen, so kam er so nur ins Gedränge und deployirte nicht sachgemäß. Daher seine äußeren Niederlagen, trotz der genialen Anlage seiner Pläne. – Er wechselte oft seine Operationsbasis, an sich ein geniales Verfahren, verlor sie aber mehrmals dadurch. Und während er den Feind abschnitt, wurde er selbst abgeschnitten von der ungeheuren Uebermacht.
    So handeln die Männer der Zukunft, deren Schlachten auch nach ihrem Tode gewonnen werden. Anders aber erscheinen die Männer der Gegenwart, die den Erfolg der Realität erzielen. Dies sind die wahren Realisten, weswegen sie auch stets den Idealismus unnützlich im Munde führen. Denn Solches entzückt ja die geschmeichelte Lüge, »Welt« genannt. Genie macht anrüchig, »vornehmes« Weihepriestern macht ehrwürdig, ein Wohlgefallen vor Gott und den Menschen.
    Der rechte Weltmann und Sinnenmensch zeigt sich zwar äußerst schwach bei sclavischer Befriedigung seiner kleinen Leidenschaften, aber äußerst stark, wenn es ein imponirendes Auftreten gilt. Und dazu gesellt sich das sittliche Pathos, diese logische Folge gänzlicher Verlogenheit. Was man so Sonntagskinder nennt, das sind gewöhnliche Burschen mit lebhafter geistiger Beweglichkeit. Dann pflege man vor allem den stattlichen Corpus, auf daß man den lieben Frauen gefalle. Wer einen eleganten Bückling zu produciren versteht, besitzt den Schlüssel der wahren Lebenskunst.
    Nun ja, das alles ist wahr. Aber wozu die Dinge so schwer nehmen! Was einmal nicht zu ändern, das liegt also in der Natur bedingt und also ist es vernunftgemäß. Man soll nur verlangen, was die Natur gewährt. Maulesel, Ziehochsen, springende Ziegenböcke kommen spät oder früh zu ihrem Weideplatz und schleppen ihre Fracht. Lahme Klepper und zierliche Damenzelter thun halt, was sie können. Und wenn der trainirte Vollblutrenner sie um zwanzig Pferdelängen schlägt, so soll man nicht murren, weil er kein Flügelroß ist. Pegasusflügel wachsen nicht oft, auf welchem Gebiet auch immer, und der Phönix steigt in jeder Generation nur einmal aus Flammen empor. Wenn die kneiferblinde Menge das Flügelroß nicht erkennen kann, was schadet das! Jedes nach seiner Art. Die Erfahrung lehrt, daß
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