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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen
Autoren: Leigh Bardugo
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die Schattenflur aufgeschoben hatte. Er brauchte ein Publikum, das seine neue Macht bezeugte. Die Frage war nur, wie weit er gehen würde. Eine böse Vorahnung verdrängte die angenehme Taubheit, die mich den ganzen Morgen erfüllt hatte.
    Das Skiff glitt knarrend über das Gras in den bedrohlichen, schwarzen Dunst der Schattenflur. Drei Beschwörer hoben die Arme, und die Segel blähten sich im Wind.
    Als ich zum ersten Mal auf die Schattenflur hinausgefahren war, hatte ich Angst vor der Dunkelheit gehabt und um mein Leben gefürchtet. Nun war mir die Finsternis egal und der Tod würde mir bald wie ein Geschenk vorkommen. Mir war immer klar gewesen, dass ich irgendwann auf die Ödsee zurückkehren musste, und nun, im Nachhinein, wurde mir bewusst, dass ich mich insgeheim darauf gefreut hatte. Ich hatte gehofft, mich beweisen zu können und – bei diesem Gedanken wand ich mich innerlich – dem Dunklen zu gefallen. Ich hatte diesen Moment herbeigesehnt, hatte hier an seiner Seite stehen wollen. Ich hatte an das Schicksal glauben wollen, das er mir zugedacht hatte, hatte beweisen wollen, dass das ungeliebte Waisenkind die Welt verändern und alle in Erstaunen versetzen konnte.
    Der Dunkle hielt den Blick nach vorn gerichtet. Er strahlte Gelassenheit und Selbstvertrauen aus. Die Sonne flackerte und blieb hinter uns zurück. Kurz darauf umgab uns die Finsternis.
    Die Stürmer sorgten für Wind in den Segeln und eine lange Zeit glitten wir über den Sand dahin.
    Dann ertönte die Stimme des Dunklen: »Flammen.«
    Die auf beiden Seiten des Skiffs stehenden Inferni sandten lodernde Flammen aus, die die Finsternis einen Moment lang grell erhellten. Die Botschafter, ja sogar die Wachen an meiner Seite wurden plötzlich nervös, denn so verriet der Dunkle den Volkra unsere Position. Damit lockte er sie direkt zu uns.
    Und sie ließen nicht lange auf sich warten. Ein Schauder lief mir über den Rücken, als ich das lederige Flügelrauschen in der Ferne hörte. Ich spürte, wie sich unter den Passagieren an Bord des Skiffs Angst breitmachte, und ich hörte, wie die Fjerdan in ihrer lispelnden Sprache zu beten begannen. Jedes Mal wenn die Grischa ihre Flammen aussandten, konnte ich hoch oben die tiefschwarzen Silhouetten geflügelter Körper erkennen. Die Schreie der Volkra zerrissen die Luft.
    Die Wachen griffen nach ihren Gewehren. Irgendjemand begann zu weinen. Obwohl die Volkra immer näher kamen, rührte der Dunkle keinen Finger.
    Baghra hatte behauptet, dass die Volkra, einst Frauen und Männer, Opfer der widernatürlichen Kräfte waren, die der Dunkle in seiner Gier entfesselt hatte. Vielleicht spielten mir meine Sinne einen Streich, aber ich fand, dass ihr grauenhaftes Geschrei etwas Menschliches hatte.
    Sie waren fast über uns, als der Dunkle meinen Arm packte und einfach nur sagte: »Jetzt.«
    Die unsichtbare Hand griff nach der Macht in mir und ich spürte, wie sie wuchs und sich auf der Suche nach Licht über die Finsternis der Schattenflur ausbreitete. Sie brach mit einer solchen Geschwindigkeit und Wucht aus mir heraus, dass sie mich fast umgerissen hätte, und umhüllte mich wie eine warme, strahlende Wolke.
    Die Schattenflur war plötzlich taghell. Es war, als hätte die Dunkelheit nie existiert. Um uns herum lag bleicher Sand, gesprenkelt von hölzernen Gerippen, bei denen es sich offenbar um Schiffswracks handelte, und über dieser leblosen Landschaft wogte der Schwarm der Volkra. Sie kreischten vor Entsetzen und ihre Leiber zuckten gequält im hellen Sonnenschein. Dies ist sein wahres Wesen, dachte ich, als ich in das grelle Licht blinzelte. Gleiches ruft Gleiches. Dies war seine Fleisch gewordene Seele, seine tiefste Wahrheit, offengelegt von der grellen Sonne, aller Schatten und Verhüllungen beraubt. Dies war die Wahrheit hinter seinem hübschen Gesicht und seiner eindrucksvollen Macht, eine Wahrheit, ebenso tot und leer wie das Nichts zwischen den Sternen, eine von verängstigten Ungeheuern bevölkerte Wüste.
    Bahne einen Weg . Ich wusste nicht genau, ob er tatsächlich zu mir sprach oder ob er den Befehl, der in mir ertönte, nur dachte. Doch ich war ihm ausgeliefert und so schloss sich die Finsternis der Schattenflur um uns, während ich das Licht zu einem breiten Strahl bündelte, in dem das Skiff dahinglitt wie durch einen Kanal, auf beiden Seiten gesäumt von wogender
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