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Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Titel: Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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schrubbte Pfannen, hackte Kräuter und prüfte die Dicke der Fäden, die der zu Sirup verkochende Zucker zog. Ihre Haare kräuselten sich durch Dampf und Hitze, weil sie stundenlang am Herd stand und in den vielen kleinen Töpfen rührte. Sie fragte sich, was die Hexe mit ihr vorhatte. Abends aßen sie Kohlrouladen und knusprigen Gänsebraten, zum Nachtisch Aprikosen mit Sahne.
    Am nächsten Morgen frühstückte Nadja in Butter gebackene Blini mit Kirschen und Sahne. Nach dem Essen fragte die Hexe: »Was möchtest du?«
    »Ich möchte nach Hause«, sagte Nadja und warf einen Blick nach draußen. Es schneite noch immer. »Aber ich kann nicht.«
    »Gut«, sagte Magda. »Dann geh mir zur Hand.«
    So ging es Tag für Tag und der Schnee fiel und türmte sich auf der Lichtung, erhob sich in großen, weißen Wellen rings um die Hütte.
    An dem Morgen, als der Schneefall nachließ, tischte die Hexe Kartoffelpasteten und Würstchen auf und fragte Nadja: »Was möchtest du?«
    »Ich möchte nach Hause«, sagte Nadja.
    »Gut«, sagte Magda. »Dann solltest du wohl besser Schnee schaufeln.«
    Also schaufelte Nadja einen Weg um die Hütte frei, begleitet von Wladschek, der neben ihr im Schnee schnüffelte, und von einer Krähe ohne Augen, die manchmal auf der Schulter der Hexe saß und mit Roggenbrotkrümeln gefüttert wurde. Am Nachmittag verputzte Nadja eine Scheibe Schwarzbrot mit Weichkäse und dazu Bratäpfel. Magda schenkte ihr heißen Tee mit Zucker ein und danach ging Nadja wieder hinaus.
    Als sie endlich den Rand der Lichtung erreichte, fragte sie sich, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Der Frost hatte eingesetzt. Der Wald schien nur noch aus gefrorenem Schnee und vereisten Bäumen zu bestehen. Wie sollte sie ihn durchqueren? Und was erwartete sie in Duwa, wenn sie es durch den tiefen Schnee bis dorthin schaffte? Eine halbherzige Umarmung ihres wankelmütigen Vaters? Noch schlimmere Schikanen seiner Frau mit dem hungrigen Blick? Nein, es gab keinen Pfad, der sie zu diesem Zuhause zurückführen konnte.
    Nadja schuftete jeden Tag. Sie schrubbte Fußböden, staubte Regale ab, flickte Kleider, kratzte Eis von den Fenstern. Aber meist half sie Magda beim Kochen. Dabei ging es nicht nur um Gerichte, sondern auch um Säfte und Salben, bitter riechende Cremes, edelsteinfarbene Pülverchen in kleinen, emaillierten Dosen, Tinkturen in braunen Glasflaschen. Auf diesem Herd blubberte immer irgendein unbestimmbares Gebräu.
    Und Nadja sollte bald erfahren, warum.
    Sie kamen spät in der Nacht, wenn der Mond verblasste; sie hatten sich meilenweit durch Eis und Schnee gekämpft, trafen auf Schlitten und struppigen Ponys ein und manchmal auch zu Fuß. Sie hatten Eier, Krüge mit Eingemachtem, Säcke mit Mehl oder Weizengarben dabei. Sie brachten Räucherfisch, Salzbrocken, Käseräder, Flaschen mit Wein, Dosen mit Tee und unzählige Beutel mit Zucker, denn Magda war zweifellos ein Schleckermäulchen. Sie verlangten Liebestränke und nicht nachweisbare Gifte. Sie flehten darum, schön und reich und gesund zu werden.
    Nadja hielt sich versteckt. Wie von Magda befohlen, kletterte sie jedes Mal ganz nach oben in eines der Speisekammerregale.
    »Bleib dort und sei still«, sagte Magda. »Ich will nicht, dass es bald heißt, ich würde Mädchen entführen.«
    Also saß Nadja da, knabberte an einem Gewürzkeks oder an einem Lakritzstreifen und sah Magda bei der Arbeit zu. Sie hätte jederzeit auf sich aufmerksam machen und die Fremden bitten können, sie nach Hause zu bringen oder ihr Schutz zu gewähren. Sie hätte schreien können, dass sie von einer Hexe gefangen gehalten werde. Stattdessen saß sie mucksmäuschenstill da, während sich der Zucker auf ihrer Zunge auflöste, und sah den Leuten zu, die diese alte Frau aufsuchten, verzweifelt und manchmal misstrauisch, aber immer respektvoll.
    Magda gab ihnen Augentropfen und Haarwasser. Sie strich über ihre Falten und klopfte einem Mann auf die Brust, bis er schwarze Galle hustete. Nadja wusste nicht genau, wie viel davon echt und wie viel Scharlatanerei war, bis eines Abends die Frau mit der wächsernen Haut erschien.
    Sie war ebenso hager wie die anderen Kunden, ihr Gesicht schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Magda fragte wie üblich: »Was möchtest du?« Daraufhin brach die Frau weinend in ihren Armen zusammen. Magda murmelte beschwichtigende Worte, tätschelte der Frau die Hand, trocknete ihre Tränen. Sie besprachen sich so leise miteinander, dass Nadja nichts
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