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Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)

Titel: Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)
Autoren: Leigh Bardugo
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zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht. Du hast beim Essen so elend ausgesehen.«
    Ich war überrascht, dass ihm das aufgefallen war. »Ich habe nur an die Durchquerung gedacht«, sagte ich zögernd. Das war nicht ganz gelogen. Ich fürchtete mich tatsächlich vor der Schattenflur, aber Maljen durfte nicht erfahren, dass ich mit Alexej über ihn gesprochen hatte. »Wirklich rührend, dass du dir Sorgen um mich machst.«
    »Tja«, sagte er grinsend, »so bin ich nun mal.«
    »Wenn du Glück hast, verspeist mich morgen ein Volkra zum Frühstück, und dann bist du alle Sorgen los.«
    »Ohne dich wäre ich verloren. Das weißt du.«
    Ich verdrehte die Augen. »Du hast dich in deinem ganzen Leben noch nie verloren gefühlt.« Ich zeichnete Karten, aber Maljen wusste selbst dann noch, wo Norden war, wenn er mit verbundenen Augen einen Kopfstand machte.
    Er rempelte mich scherzhaft an. »Du weißt genau, wie ich das meine.«
    »Klar«, sagte ich. Aber ich wusste es nicht. Jedenfalls nicht genau.
    Wir saßen schweigend da und betrachteten unseren Atem, der in der kalten Luft wölkte.
    Maljen sah auf seine Stiefelspitzen und sagte: »Ich bin auch nervös.«
    Ich gab ihm einen Knuff und erwiderte mit gespielter Selbstsicherheit: »Wenn wir es mit Ana Kuja aufnehmen konnten, sind ein paar Volkra sicher keine Herausforderung für uns.«
    »Irre ich mich oder haben wir mehrere Ohrfeigen kassiert und mussten danach die Ställe ausmisten, nachdem wir Ana Kuja zuletzt eins ausgewischt hatten?«
    Ich wand mich. »Ich wollte nur deine Zuversicht stärken. Warum tust du nicht wenigstens so, als würdest du an mich glauben?«
    »Weißt du, was komisch ist?«, fragte er. »Manchmal vermisse ich die alte Kuja.«
    Das erstaunte mich. Wir hatten über zehn Jahre in Keramzin gelebt, aber ich hatte oft den Eindruck, dass Maljen diese Zeit – vielleicht sogar mich – am liebsten vollkommen vergessen hätte. Dort war er nur ein heimatloser Flüchtling gewesen, ein Waisenkind unter vielen, das für jedes Häppchen Essen und jedes ausgelatschte Stiefelpaar dankbar sein musste. In der Armee war er zu Ansehen gelangt und keiner seiner Kameraden brauchte zu wissen, dass er früher ein kleiner, ungeliebter Junge gewesen war.
    »Ich auch«, gestand ich. »Wir könnten ihr schreiben.«
    »Vielleicht«, sagte Maljen.
    Er griff unvermittelt nach meiner Hand. Mich durchfuhr ein leiser Ruck, den ich sofort unterdrückte. »Morgen um diese Zeit sitzen wir am Hafen von Os Kerwo, blicken aufs Meer und trinken Kwass«, sagte er.
    Ich sah zum schwankenden Dubrow und musste lächeln. »Mit Dubrow?«
    »Nein, nur wir beide«, sagte Maljen.
    »Ist das dein Ernst?«
    »Es gibt immer nur uns beide, Alina.«
    Ich wollte ihm gern glauben. Die Welt bestand auf einmal nur noch aus dieser Treppe, dem Lichtkegel der Straßenlaterne und dem Dunkel, in dem wir zu schweben schienen.
    »Komm endlich«, brüllte Michail.
    Maljen schrak auf, als hätte man ihn aus einem Traum gerissen. Er drückte ein letztes Mal meine Hand. »Ich muss los«, sagte er und setzte sein gewohnt freches Grinsen auf. »Ich brauche noch eine Mütze Schlaf.«
    Er sprang leichtfüßig von der Treppe und lief zu seinen Freunden. »Drück mir die Daumen«, rief er über die Schulter.
    »Viel Glück«, sagte ich automatisch, hätte mich danach aber am liebsten selbst in den Hintern getreten. Viel Glück? Wohl besser viel Vergnügen, Maljen. Ich hoffe, du findest eine hübsche Grischa, verliebst dich bis über beide Ohren und bekommst mit ihr viele umwerfend schöne, hochbegabte Kinder.
    Ich blieb wie erstarrt auf der Treppe sitzen und sah den drei Männern nach, die auf dem Pfad verschwanden. Ich spürte noch Maljens warmen Händedruck. Na gut, dachte ich beim Aufstehen. Vielleicht landet er auf dem Weg zu ihr ja in einem Graben.
    Ich schlich mich wieder in die Unterkunft, schloss die Tür und schlüpfte dankbar unter meine Decke.
    Ob sich die schwarzhaarige Grischa aus dem Pavillon stahl, um Maljen zu treffen? Ich verdrängte den Gedanken. Es ging mich nichts an und ich wollte es auch nicht wissen. Maljen hatte mich nie so schwärmerisch angesehen wie diese Grischa oder meinetwegen Tanja, und er würde mich auch nie so ansehen. Am wichtigsten war für mich jedoch, dass wir gute Freunde waren.
    Wie lange noch? , fragte eine zweifelnde Stimme in meinem Inneren. Alexej hatte Recht: Nichts blieb, wie es war. Maljen hatte sich zum Besseren verändert; er war jetzt hübscher, mutiger und
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