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Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Titel: Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Autoren: Rafael Abalos
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hinzu.
    Durlib zog die Augenbrauen zusammen und verlieh so seinen Zweifeln Ausdruck. »Ich vertraue darauf, dass die hellseherischen Fähigkeiten, die dieser Stein dir offenbar verliehen hat, so treffsicher sind wie die Pfeile deines Bogens. Andernfalls befürchte ich, dass der Fluch des toten Edelmannes sich an unsere Fersen heften wird wie der Schatten des Leibhaftigen an einen Besessenen.«
    »Vergiss deine Befürchtungen, Durlib! Ich weiß zwar nicht, wozu der Tote und der merkwürdige Stein gut sein sollen, aber wenn ich mich nicht täusche, werden wir mithilfe ebendieses Steins das Geheimnis lüften, das dich so beunruhigt«, erwiderte Grimpow selbstsicher.
    »Mir genügen schon die Reichtümer, die Fortuna uns beschert hat, auch wenn sie sich dazu eines toten Edelmannes bedient hat, der über die unheimliche Gabe verfügt, sich unsichtbar zu machen. Solltest du seiner Mission in dieser unserer Welt trotzdem auf den Grund gehen wollen, werde ich dich bestimmt nicht im Stich lassen. Ich bin dabei, wenn uns das Abenteuer lockt wie der liebliche Gesang einer schönen Jungfrau«, schloss Durlib seine Rede ab.
    »Dann lass uns unverzüglich nach Brinkum aufbrechen!«, erwiderte Grimpow zufrieden.
    Als sie zur Abtei hinabstiegen, hob sich der Nebel in schlanken Schwaden und verfing sich in den löchrigen Wolken zwischen den Tannenwipfeln. Die Schneedecke war inzwischen deutlich dünner, und auf dem schmalen, von dornigen Sträuchern gesäumten Pfad, der ins Tal hinabführte, kamen sie bequemer und leichter voran. Durlibs Furcht vor der Rache des toten Edelmannes schien sich gelichtet zu haben wie der Nebel. Während er neben Grimpow ausschritt, trällerte er eine Melodie, die er stets anzustimmen pflegte, wenn er guter Dinge war.
    Durlib spielte die Drehleier, wusste Romanzen vorzutragen und konnte es bei seinen Zauberkunststücken und beim Jonglieren mit den berühmtesten fahrenden Spielleuten und Gauklern der Umgegend aufnehmen. Doch in erster Linie war er ein Gauner und Dieb, der Bauern, Reisende, Pilger, Händler, Nonnen und Ritter um ihre Geldbörse bringen konnte, sei es mit seinem flinken Mundwerk, sei es unter Zuhilfenahme seiner Hände und seines Schwertes. Als er Grimpow im vergangenen Jahr beim Frühlingsfest kennengelernt hatte, arbeitete dieser als Schankbursche. Sie waren sich in der schummrigen, übel riechenden Schenke seines Onkels Fedo begegnet, den alle nur »den Wüterich« nannten. Das Gasthaus in Rhile pflegte Durlib aufzusuchen, um mit seiner Kunstfertigkeit die aus den umhegen den Dörfern stammenden Gäste zu unterhalten.
    In einer Gewitternacht, als Durlib gerade einem leichtfertigen Trupp Handwerker bei einer Würfelpartie das Geld aus der Tasche zog, erkannte ihn ein reicher Viehhändler. Der Landstreicher hatte den Mann am Vormittag erst an einer Weggabelung mit der Spitze seines Schwertes bedroht und um seinen Erlös gebracht. Der erboste Händler drückte Grimpow sogleich ein paar Münzen in die Hand, damit er den Dieb nicht aus den Augen ließ und ihm auf Schritt und Tritt folgte. Er selbst wollte inzwischen die Schergen des Stadtherrn alarmieren, der innerhalb der Mauern von Rhile Recht sprach. Sie sollten den Bösewicht dingfest machen und ihn im Morgengrauen unverzüglich auf dem Marktplatz henken. Doch Grimpow empfand diese Strafe für jemanden, der in seinen Augen zwar ein unverfrorener, aber dennoch sympathischer kleiner Gauner war, als allzu grausam. Also klärte er den Dieb sogleich darüber auf, in welcher Gefahr er schwebte, wenn er nicht sofort aus der Schenke verschwand.
    Durlib leerte seinen Weinkrug in einem einzigen Zug, wischte sich mit dem Ärmel seines Kittels über den Mund und sagte: »Traurig ist das Schicksal eines Geächteten!« Mit einem Zwinkern in Grimpows Richtung fügte er noch hinzu: »Hat die Schenke einen zweiten Ausgang, durch den ich mich davonschleichen kann, bevor die Soldaten des Grafen mir den Bauch aufschlitzen wie einem mit Eicheln gemästeten Schwein?«
    Grimpow machte dem Fremden ein Zeichen, ihm zu folgen. Als der Onkel des Jungen kurz unachtsam war, nutzen die beiden den günstigen Moment und stahlen sich durch den mit Spinnweben verhangenen Weinkeller auf den Hof hinter der Schenke. Dort öffnete Grimpow das Tor, das während der Weinlese den Wagen der Winzer Einlass gewährte, und bat Durlib, kurz draußen zu warten und die Straße im Blick zu behalten. Dann schlich er in den angrenzenden Stall, in dem ein altes Zugpferd stand. Er zäumte es
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