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Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Titel: Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Autoren: Rafael Abalos
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verstehe es gar nicht«, gab der Junge zu. »Es ist, als könnte ich diese Zeichen lesen, ohne die Sprache zu kennen, genauso wie ich >Vogel < oder jedes andere Wort sage, auch wenn ich es nicht schreiben kann. Ich glaube, es liegt an diesem Stein, dass ich dieses Rätsel lösen konnte«, überlegte er verblüfft.
    Gleichzeitig spürte er, wie der seltsame Stein mit seiner Haut zu verschmelzen schien und ihm auf magische Weise ein ganzes Universum an Wissen eröffnete. Er argwöhnte, der tote Edelmann höchstpersönlich habe sich seiner Seele bemächtigt.
    Auf einmal verwandelten sich die Eisnadeln in den Haaren und an den Augenbrauen des Leichnams in kleine Wassertropfen, das Gesicht nahm eine rosige Farbe an, und der Körper begann auf dem Schnee zu schmelzen wie eine Wachspuppe in der Hitze des Feuers, bis er gänzlich verschwunden war.
    »Bei den Narben eines verprügelten Diebes! Ich will am Galgen von Uliense hängen, wenn hier nicht der Teufel die Hand im Spiel hat!«, rief Durlib ungläubig aus.
    Grimpow hingegen war von dem wundersamen Ereignis keineswegs überrascht. »Mir scheint, der Mann ist dorthin zurückgekehrt, wo er hergekommen ist«, erklärte er versonnen. Noch immer spürte er den Stein in der Hand und war sich nicht ganz sicher, ob er gerade wirklich selbst sprach.
    Durlib sah ihn entgeistert an. »Was soll das für ein Ort sein, wo sich die Toten wie durch Zauberei in Luft auflösen?«
    »Das weiß ich auch nicht genau. Aber seit ich diesen Stein in der Hand halte, sehe ich Dinge, die dir nicht im Traum einfallen würden. Und ich kann es mir beim besten Willen nicht erklären«, antwortete Grimpow.
    »Ach komm, red keinen Unfug! Gerade eben hat hier direkt vor unserer Nase die Leiche eines Mannes gelegen und jetzt ist sie nicht mehr da! Das muss die Zauberei eines Schwarzmagiers sein, der mit dem Teufel im Bunde ist«, polterte Durlib los und bekreuzigte sich erneut mit geheuchelter Frömmigkeit.
    »Weder Gott noch der Satan hat etwas damit zu tun. Glaub mir«, widersprach der Junge. Er konnte jedoch nicht sagen, wie er zu dieser Erkenntnis kam.
    »Also, ich bleibe jedenfalls keine Sekunde länger in diesem verfluchten Wald, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sonst schlägt uns das Gespenst des Edelmannes am Ende noch den Kopf ab und spießt ihn auf, damit die Geier uns genüsslich die Augen aushacken können.«
    Hastig raffte Durlib den Schatz des toten Edelmannes auf seinem Fellumhang zusammen. Er stopfte alles in die Satteltasche des Verstorbenen und wollte aufbrechen.
    »Seit wann glaubst du an Gespenster, Durlib? Irgendetwas sagt mir auch, dass der geheimnisvolle Edelmann eine Mission zu erfüllen hatte, einen wichtigen Auftrag, den er nicht wie geplant zu Ende bringen konnte. Das werden wir nun für ihn übernehmen müssen, als Gegenleistung dafür, dass wir den Schatz behalten«, erklärte Grimpow.
    Aus Durlibs Miene zog Grimpow den eindeutigen Schluss, dass sein Freund fürchtete, das Amulett des Edelmannes habe ihn um den Verstand gebracht.
    »Er hat sich also diese einsame, verschneite Berggegend ausgesucht, um dem Tod ins Auge zu blicken, uns seine Reichtümer zu vermachen und anschließend zu verschwinden wie Christus nach der Kreuzigung?«, fragte Durlib angriffslustig.
    »Vielleicht war er nur auf der Durchreise, vermutlich nach Straßburg, um diesem Aidor Bilbicum den versiegelten Brief zu überreichen«, überlegte Grimpow laut.
    Durlib seufzte entnervt und machte so große Augen wie eine Kröte. »Denk, was du willst! Jedenfalls bringen nur der Leibhaftige und sein Gefolge aus Hexenmeistern, Zauberern und Schwarzmagiern solche Wunder zuwege, wie wir es hier soeben erlebt haben - womöglich zu unserem Unglück und Verderben«, begann er. »Wir machen uns also am besten zur Abtei Brinkum auf, bevor die Nacht hereinbricht. Dort nehmen wir am letzten Stundengebet des Tages teil und läutern Körper und Seele mit reichlich Weihwasser. Nur so können wir den Schaden abwenden, den der Geist dieses toten Magiers, Hexenmeisters oder was auch immer uns mit seinen Zaubereien aus dem Jenseits zufügen will.«
    »Verstehe, im Grunde bist du genauso abergläubisch wie gefräßig«, stellte Grimpow lachend fest. »Aber dass sich der tote Edelmann, der uns so reich beschenkt hat, an uns rächen will, das glaube ich nicht. Außerdem - was haben wir ihm schon angetan? Wir wollten ihm doch ein christliches Begräbnis neben dem Altar der Abtei Brinkum verschaffen!«, fügte der Junge überzeugt
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