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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Autoren: Ruth Berger
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dritten war sie wegen Aufsässigkeit und Frechheit entlassen worden. Die Ursel plagte sich seit Jahren mit Ängsten, es könnte am Ende ganz nach unten in die Gosse mit der Susann gehen. Schon schämte sie sich vor ihrer Kundschaft und Gönnerschaft, der Frau von Stockum zum Beispiel oder dem Fräulein du Fay (die sie beide übrigens nur durch ihre Treue zur reformierten Konfession kennengelernt hatte, während die Dorette mit ihrem lutherischen Mann zwar Bürgerin war, aber längst nicht in so guten Kreisen verkehrte). Wenn die Frau von Stockum wieder einmal fragte, was denn ihre jüngste Schwester mache − oje, dann wurde der Ursel heiß und kalt, und sie hörte die Verachtung und den Spott in der Stimme der Frau von Stockum. Die unstete Susann, die sich so wenig bewährte und immer wieder nichtsnutzig und schlecht gelitten auf ein paar Wochen bei einer ihrer hart arbeitenden älteren Schwestern logierte, die war drauf und dran, einen Fleck an den Ruf der ansonsten frommen und ehrbaren Familie Brand zu bringen.
    Woran auch die ältere Schwester Dorette schuld war. Der schädliche kindische Trotz und Mutwillen bei der Susann kam nämlich geradewegs davon, dass die Dorette und die selige Mutter das Mädchen verzärtelt und verhätschelt hatten. Die bekam ja hier einen Kuss und da einen teuren Honigwecken und wurde im Arm gehalten und geherzt und konnte schier nichts Böses tun. Wenn man bedachte, wie die anderen Kinder erzogen worden waren, streng und ohne viel Aufhebens um sie, da konnte man leicht den Gegensatz zwischen der Susann und ihren allesamt verlässlichen älteren Geschwistern verstehen.
    «Und ist immer fröhlich und wohlgemut, und niemals müde», brüllte die Bauerin eben der Dorette ins Gesicht, der man übrigens ihre bald fünfunddreißig Jahre leider sehr ansah. Die Susann dagegen, auf der Kiste an der Wand sitzend, strahlte rotbackig wie die blühende Jugend. Immer fröhlich, was war denn das für ein Lob, fand die Ursel. Das gehörte ja gerade zu den Fehlern der Susann, dass sie als erwachsenes Mädchen noch Kind geblieben war und den Ernst des Lebens nicht erkannte. Und niemals müde? Ganz recht, warum sollte die Susann auch müde sein, mit gerade mal Anfang zwanzig; da hat man noch Kraft. Ja, wenn man erst einmal dreißig, einunddreißig Jahr alt geworden ist und Kinder geboren hat, wie sie, die Ursel, oder fünfunddreißig wie die Dorette − dann mag es Überwindung kosten, früh aufzustehen und frisch und hurtig bei der Arbeit zu sein. Bei der Susann hingegen wäre nur das Gegenteil verwunderlich gewesen.
    «Ich möcht die Susann am liebsten nie wieder entbehren müssen. Gelle, Susann, Ihr verlasst mich nicht?», brüllt die Bauerin eben wie zum Beschluss ihrer Lobesrede, und die Susann lacht und schüttelt den Kopf in ihrer fröhlichen, ungezügelten Art. Und dann wendet sie die jungen Augen zur Tür der Kinderschlafkammer gegenüber und lächelt ein, zwei Wimpernschläge kokett, bevor sie rasch wieder wegsieht. Als die Ursel, die mit dem Rücken zu der Kammer sitzt, sich misstrauisch nach hinten verrenkt – wen sieht sie da? Den Sohn der Bauerin, lässig angelehnt im Türsturz. Wer weiß, wie lang der da schon steht. Eiei. Das fehlt noch, denkt die Ursel, dass die Susann, wo man grad meint, sie hätt sich gefangen, jetzt alle Vorsicht vergisst und mit den Mannspersonen in der Wirtschaft herumpoussiert, als hätt sie der Kitzel gestochen.
    Laut sagt sie, sehr damenhaft: «Es will ja fast scheinen, Susann, dass du dir die Hörner deiner jugendlichen Unvernunft abgestoßen hast. Hoffen wir, dass es anhält.»
    Worauf die Susann noch röter wird, als sie ohnehin schon ist, und ein wenig betreten dreinblickt, sodass man zu ihren Gunsten annehmen muss, sie sei sich in dem Augenblick einer Schuld schamhaft bewusst geworden. Da steht auf einmal die Bauerin von ihrem Schemel auf, geht auf die Susann zu, lächelt milde, fasst sie am Kinn, beugt sich und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.
    Was die Ursula Königin ziemlich sprachlos macht.
     
    Spät am Abend desselben Tages gab es einen Zank in der Küche Zum Einhorn . Während die Dienstmagd Susann schon auf dem dicht neben dem Herd stehenden Bett saß und sich ihre schwarzen Strümpfe abstreifte, war die andere Magd, Christiane, bei schlechtestem Licht noch auf Knien damit beschäftigt, eine Kruste von übergelaufener Gerstensuppe von den Herdsteinen zu entfernen. Und während die Christiane so kratzt, das Gesicht ganz verkniffen vor Anstrengung,
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