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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Autoren: Ruth Berger
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Perücke kratzt, was er in Momenten des Nachdenkens zu tun pflegt, kommt ihm mit einem Mal eine Ahnung. Und zwar dergestalt, dass womöglich der Sergeant Brand als der Cousin der Verdächtigen und die Ursula Königin als deren Schwester eine gewisse, der Verdächtigen durchaus günstige Absicht verfolgen könnten, indem sie hier nach der Dienstzeit in seinem Privathaus höchstselbst die Anzeige vorbringen. Übrigens nachdem die Susanna verschwunden und für eine Verhaftung nicht mehr habhaft ist. Und bevor noch die Dienstherrin ihrerseits sich meldet, von der man nach Lage der Dinge eine solche Anzeige recht eigentlich erwarten würde.
    Doch ihn haben solche Eventualitäten nicht zu scheren. Er hat hier nicht nach heimlichen Absichten zu forschen, sondern nach der Sachlage zu entscheiden. Und die ist so, dass ohne jeden Verzug der Holzstall der Dienstherrin und deren Haus auf Spuren eines Verbrechens zu untersuchen sind. Sonnenklar ist auch, dass er sich nicht etwa unüblicherweise selbst an den Ort des Geschehens begeben wird. Sondern stattdessen wird er, nun, wen sonst, die anwesende Ordonnanz Brand mit der Aufgabe betrauen. Der Brand mag dreimal mit der Verdächtigen verwandt sein, er ist dennoch sein kompetentester Mann, und um diese Zeit und an diesem Ort stehen ihm andere Kräfte ja gar nicht zur Verfügung. Die Untersuchung würde sträflich verzögert, wollte er erst nach einem der betrunkenen Taugenichtse auf der Hauptwache schicken.
    Wie sorgfältig nun aber seine Ordonnanz, der Brand, nach Spuren sucht, und ob es denn stimmt, wenn er ihm später meldet, es gebe für ein Verbrechen keinen Hinweis − bittschön, das liegt in seiner, des Brands, Verantwortung. Und nicht in der des Herrn Bürgermeisters.
    Ohne sich noch länger zu besinnen, teilt er dem Brand mit: Er möge sich schnellstens zu der Dienstherrin der Susanna begeben, eine Untersuchung des Hauses vornehmen und, falls der schlimme Verdacht sich bewahrheite, so bald als möglich, ansonsten aber am nächsten Morgen, Rapport bei ihm erstatten.
    Der Sergeant Brand tritt salutierend und voll Eifer ab, die Ursula Königin mit wehender blauer Kittelschürze im Gefolge. Dr.   Siegner seufzt erleichtert und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Also bittschön, das wär geschafft!
    Doch die Lust auf Bonbons mit Milch war ihm für diesen Abend vergangen.

ANFANG AUGUST 1770
    ETWA EIN JAHR zuvor saß die besagte Susanna Brand abends sehr fröhlich in der Küche des Gasthauses Zum Einhorn und ließ sich von dessen Wirtin, der Witwe Bauer, über den grünen Klee loben. Wobei die Bauerin allerdings brüllte, als solle das ganze große Haus mithören. Und zwar zum Besten von Susannas ebenfalls anwesender Schwester Dorothea, genannt Dorette. Die Dorette – die einzige kleine Person in der hochgewachsenen Familie Brand – war nämlich leider von den Masern auf dem rechten Ohr ganz und auf dem linken halb taub geblieben. Ihre Taubheit hatte die Dorette aber weder gehindert, der Susann, dem bei weitem jüngsten Kind der Familie, jahrelang die zweite Mutter zu sein, noch daran, später einen Dienst und schließlich in Gestalt des Schreinermeisters Baptist Hechtel einen guten Ehemann zu finden. Einen, der gemäß seines Standes sogar die Bürgerrechte besaß – wenn er auch lutherisch war. Die Dorette hatte das nicht gestört, ohne Bedenken hatte sie der Heirat zuliebe die lutherische Konfession angenommen. Zum Ärger ihrer Schwester Ursel allerdings, die fand, wenn der Vater das wüsste, er würd sich im Grabe umdrehen.
    Die Ursel war ebenfalls heut Abend in der Küche vom Gasthaus Zum Einhorn anwesend, für das sie die Weißwäsche machte. Nur blähte sie sich nicht ganz so stolz und zufrieden auf wie die Dorette über das wohlfeile und sicher übertriebene Lob der Bauerin, von wegen die Susann wär die beste Köchin und fleißigste Dienstmagd, die sie jemals gehabt hätte. Sie, die Ursel, gluckte ja auch nicht so eng mit der Bauerin wie die Dorette, und sie war nicht diejenige gewesen, die vor gut zweieinhalb Jahren, als die Susann in hohem Bogen aus ihrem letzten Dienst in Mainz geflogen war, der Bauerin das Mädchen regelrecht aufgedrängt hatte. Aber natürlich war auch die Ursel froh zu hören, dass die Susann sich wider Erwarten bei der Bauerin so gut bewährte. Man hatte sich ja um das Mensch schon ernste Sorgen machen müssen! Zwei Dienste hatte sie wegen ein bisschen Ärger über die Herrschaft aus purem kindischem Trotz selbst aufgekündigt. Aus dem
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