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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Autoren: Ruth Berger
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zwei Schritte vorwärts.
    «Komm Sie nur her zu mir. Na, komm Sie. Näher. Noch näher.»
    Die Susann wagt sich bis zweieinhalb Schritt an ihn heran. Dann steht sie wie festgewurzelt. Er seufzt.
    «Noch näher. Ganz nahe. Hier rechts neben mich.»
    Er klopft auf die Armlehne seines Stuhls, unter weißen Spitzenärmeln sieht man die schmale Denkerhand. Die Susann bekommt weiche Knie, voll süßer Hoffnung nähert sie sich, bis sie mit dem Rock die Lehne berührt.
    «Nicht mich muss Sie angucken», sagt er da mit tiefem Verdruss. «Ihr seid doch wirklich blöd, taub und blind, ihr Küchenmägde. Hier» − und er hebt langsam die Denkerhand und zeigt auf das danebenstehende Tischchen. «Dieser Aschenbecher», sagt er, «will geleert werden.»
    Worauf er erneut seufzt und sich, als wäre die Susann nicht vorhanden, seinem Buch zuwendet.
    So gekränkt war die Susann, dass die Mutter de Bary, als sie am nächsten Tag für die Folgen ihrer eigenen Vergesslichkeit das Küchenmädchen bezichtigte, gar nicht fest zuschlagen musste, damit dieses Mädchen sich wütend vor ihr aufrichtete und sie barsch unterbrach: Wenn sie hier so ein hundsgemeines Aas zur Herrin habe, dann habe sie, Susann, keine, aber wirklich keine Lust mehr, für die Familie zu arbeiten, da gebe es Besseres. Adieu, sie kündige hiermit. Worauf sie im ganz wörtlichen Sinne das Handtuch warf. Und hinausstürmte. Dass die Tränen niemand sah.
    Bei ihrer zweiten Arbeitsstelle hatte die Susann aber nicht die Entschuldigung, dass ihr jemand das Herz gebrochen hatte (wenn es denn eine Entschuldigung war – die Schwester Ursel würde das bestimmt nicht so sehen). Da hatte sie nach einem harten, heißen Arbeitstag einfach nur in Rage gebracht, wie der Herr sie sturzbesoffen anbrüllte und dabei auch noch mit der Pferdepeitsche fuchtelte. Und gekündigt hatte sie hauptsächlich, weil sie sich für ihren eigenen unflätigen Ausbruch derart schämte, dass sie keinen, der ihn mitbekommen hatte, jemals mehr wiedersehen wollte.
    Bei ihrer dritten festen Stellung, in Mainz nunmehr, weil die Schwestern schon fürchteten, sie bekäme in Frankfurt einen Ruf weg, da hatte sie natürlich gewusst, dass sie auf keinen Fall nochmal kündigen durfte. Gekündigt hat sie also nicht. Aber es waren ihr wie früher Widerworte entfahren, wenn sie belangt wurde, und desto frechere, je ungerechter es zuging. Zum Glück war sie dort trotzdem jahrelang behalten worden, weil sie gut arbeitete, und die Brotherrin war klug genug, das zu wissen. Aber einmal, da war es doch zu viel. Da hatte die Susann sich nicht nur mal wieder eindeutig im Ton vergriffen, sondern das Ärgernis hatte sich auch noch in Gegenwart von Fremden abgespielt, Freunden des Hauses, die allesamt entsetzt und der einhelligen Meinung gewesen waren, das freche Luder gehöre sofort entlassen.
    Verständlicherweise konnte die Hausherrin sich dem ohne Gesichtsverlust kaum widersetzen. Sie erledigte das Nötige, samt edelmütig korrekter Zahlung eines ausstehenden Dreimonatslohns von viereinhalb Gulden, noch an Ort und Stelle vor dem anwesenden applaudierenden Publikum.
    Als sie des folgenden Abends aus Mainz in Frankfurt eintraf, erzählte dummerweise die Susann ihren Schwestern bis auf ein paar Schönheitskorrekturen die Wahrheit über das peinliche Mainzer Sujet. Die Dorette blickte gramvoll und hilflos drein; die Ursel, die es schon immer gewusst hatte, zeterte los. (Die dritte, älteste und unverheiratete Schwester Käthe hatte bei Susanns Ankunft schon geschlafen. Man hatte sie weiterschnarchen lassen, da sie im Morgengrauen zu einer großen Wäsche musste. So blieben ihr die unerfreulichen Neuigkeiten erst einmal erspart.)
    Aller guten Dinge seien drei, befand am Ende Dorettes Mann, der Schreinermeister Hechtel, in dessen Küche die Krisenbesprechung stattfand. Der Susann möge all das eine Lehre gewesen sein. Wenn sie aber nun noch immer nicht verstanden habe und sich noch ein weiteres Mal selbst um Kopf und Kragen und eine gute Stellung rede, so müsse sie sich dumm, böswillig oder beides schimpfen lassen. Er wolle sie in diesem Falle, wenn sie also wieder durch eigene Schuld eine Stellung verlöre, in seinem Haus nicht mehr dulden, das übrigens mit der Zeit auch nicht leerer werde und wo ein zusätzlicher Schlafplatz jetzt schon schwer einzurichten sei.
    Der Tambour König von der Ursel wenigstens hatte zu Susanns Fehltritt nichts zu bemerken. Er war auch erst vor ganz kurzem von der Ursel geehelicht worden. Daher
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