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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Autoren: Ruth Berger
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vor dem Zubettgehen Ärger gab. Zufällig verhält es sich so, dass die Frau Bauerin eben zum allerersten Mal richtig mit ihr geschimpft hat in den zweieinhalb Jahren, in denen sie bei ihr in Dienst ist. Erstens hat nämlich die Frau Bauerin ein gutgelauntes, wenig aufbrausendes Wesen, und zweitens reißt die Susann sich Arme und Beine aus bei der Arbeit, sodass zum Schimpfen nie Anlass besteht. Und weil es eben nun doch passiert ist, hat sich die Susann leider zum zweiten Mal heut daran erinnert, dass sie, die Susann, einen verqueren Charakter hat, der ihr im Leben noch zum Fall gereichen wird, wenn sie nicht mordsmäßig aufpasst. Das weiß sie sehr wohl, sich selbst betrügt sie nämlich nicht, wenn sie auch vor ihrer schwarzseherischen Schwester Ursel immer die Sorglose, Ahnungslose spielt und rundheraus abstreitet, dass es irgendeinen Grund geben könnte, über ihre Zukunft böse zu unken.
    Es ist nämlich leider so, dass die Susann Tadel nicht verträgt. Nicht, wenn sie einen Anlass dazu gegeben hat, und erst recht nicht, wenn sie sich grundlos zurechtgewiesen fühlt. Sosehr sie auch sonst einen eisernen Willen hat, indem es ihr zum Beispiel ein Leichtes ist, mit wehen Gliedern abends noch Wassereimer oder Gepäck die Treppen hochzuwuchten (ja, da pfeift sie noch fröhlich dazu!) –, so leicht verliert sie andererseits die Herrschaft über sich, wenn ihr jemand mit Strafpredigten kommt oder gar zuzuschlagen droht. Dann geht es mit ihr durch. Dann wehrt sie sich. Widerworte gibt sie, die sich gewaschen haben. Sogar vorhin, bei dem harmlosen und ganz gerechtfertigten Tadel der Frau Bauerin, hatte sie schon angesetzt, ihr wie ein ungezogenes Kind giftig zurückzugeben: warum man denn sie bezichtige, die Christiane habe angefangen mit dem Streit. (Nur dass glücklicherweise die Bauerin die Tür gleich wieder zugemacht hatte und die Susann ihre schon im Hals steckende Replik ungehört wieder verschlucken konnte.)
    Dabei weiß sie nach Jahren der Dienstzeit natürlich so sicher wie das Amen in der Kirche, dass Brotherren, anders als ihre weichherzige selige Mutter, Widerworte nicht hören mögen. Und dass es sich nicht empfiehlt, ihnen welche zu geben, wie begründet auch immer sie sein mögen, wie ungerecht auch immer der Tadel oder die Strafe war. So ist die Regel. Sie haben recht, du hast unrecht. Du hast zu gehorchen und dich, wenn den Herrschaften danach ist, züchtigen zu lassen, ob mit, ob ohne Grund, und jedenfalls hast du ganz bestimmt nicht zurückzuschimpfen.
    Nur dass die Susann mit ihrem verqueren Charakter und cholerischen Temperament diese Regel nicht befolgen kann. Nicht in den Momenten jedenfalls, wo es wirklich drauf ankäme. Gerade dann läuft ihr die Galle über. Als sie das erste Mal von einer Dienstherrin eine geknallt bekam zum Beispiel, da hatte die Susann der Dame eine gesalzene Beleidigung ins Gesicht geschleudert und die Kündigung gleich hinterher. Das war bei den de Barys gewesen. Ihre erste richtige Stellung, für die die Ursel sie empfohlen hatte. Die wand sich nach dem Vorfall natürlich vor Scham.
    Gut, da hatte es noch einen anderen Grund für ihr Benehmen gegeben. Den verriet sie aber weder der Ursel noch sonst jemandem – wohlweißlich nicht, da dieser geheime Grund eigentlich genauso kindisch war wie der andere.
    Sie war so dumm gewesen, sich unerwidert in den Sohn der Familie zu verlieben: Johannes oder Jean de Bary, einundzwanzig Jahre, Handelsmann im Geschäft des Vaters, schwarze Haare, bleiche Wangen, melancholisch, als wäre er sehr, sehr einsam. Sie hat sich natürlich nicht absichtlich verliebt. Sondern wie es so geht, es trifft einen unerwartet, und eh man recht gemerkt hat, worauf das hinauswill, ist es schon passiert. Dabei sah sie ihn nur wenig und sprach auch nie mit ihm, weil sie meist in der Küche arbeitete und dies ein großes Kaufmannshaus war, wo nicht alles so dicht aufeinanderhockte.
    Eines Tages waren die Eltern de Bary fort und der Sohn allein zu Haus. Die Susann hatte die Aufgabe ergattert, den Tisch fürs Essen vorzubereiten, und musste auf dem Weg an der sogenannten Bibliothek vorbei. Dort zierte der junge Herr, die Beine hochgelegt, mit Buch und Pfeife einen Stuhl. Die Tür stand offen. Aus den Augenwinkeln hatte sie im Vorübergehen einen Blick riskiert und war schon ein paar Schritte weiter, als er sie plötzlich ruft:
    «He, Sie, Mädchen.»
    Sie ging wieder zurück und blieb bebend in der Tür stehen.
    «Komm Sie doch mal zu mir.»
    Die Susann tut
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