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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen
Autoren: Einzlkind
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Geschenk bekam. Ich hatte mir ein Rennrad gewünscht. Stattdessen bekam ich einen Kaufmannsladen. Damals dachte ich, das Leben macht keinen Sinn mehr. Und auch jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe und die Tränen des Abschieds gerade erst trocknen, ist es mir, als höre die Welt für einen Moment auf zu atmen, um unseretwillen, die wir kein Morgen mehr sehen. Nichts wird mehr so sein, wie es einmal wahr.
    Ich hoffe, wir können Freunde bleiben.
    Deine ehemalige Geliebte
    Elin
     
    Kyell schrieb zurück:
     
    Liebe Elin,
    auch ich kam nicht umhin zu bemerken, dass wir uns von Tag zu Tag immer mehr entfremdet haben. Ich denke, du hast Recht. Es ist das Beste so. Wir hatten eine fantastische Zeit. In meinem Herzen wirst du immer einen Platz haben, selbst wenn es mal eng werden sollte.
     
    In Ewigkeit
    Dein Kyell
     
    PS: War wird ohne h geschrieben.
     
    Seither gab es keine nennenswerten Episoden mehr. Gleichwohl Kyell in so manchen Augen als durchaus attraktiv durchging, mit seiner schlanken und feingliedrigen Statur, den glatten blonden Haaren, die ihm bis zum Kinn gingen und den dunkelblauen Augen, die immer ein wenig abwesend blickten, als träume er ständig in fremden Welten. Und ganz abwegig war diese Vermutung nicht, denn oft genug verlor er sich noch in den kleinsten Gedanken und dann irrte er ziellos umher, bis jemand seinen Namen rief oder er gegen einen Baum rannte. Am liebsten verirrte er sich mit Milla, in die er seit zwei Jahren heimlich verliebt war und die, gerade als er die Tür zur Praxis aufschließen wollte, mit ihrem Fahrrad vorbeifuhr und flüchtig mit einem »Ahoi Kyell« grüßte. Ihre langen kastanienbraunen Haare sah er gerade noch davonwehen, und gerne wäre er mit Milla zu neuen imaginären Abenteuern aufgebrochen, aber er hatte anderes zu tun, er hatte einen Beruf, und er hatte Verantwortung, und die konnte er einfach nicht links liegenlassen, er wollte doch erwachsen werden.
    Die Praxis war menschenleer. Keine Überraschung. Tykwer war nicht zu sehen. Auch keine Überraschung. Wahrscheinlich lag er wieder oben in seinem Bett. Tagsüber lag er eigentlich immer im Bett. Tykwer, der Arzt, der in Helsinki Tiermedizin studiert hatte, der eine Urkunde besaß. Und eine Schwäche. Für Alkohol. Und für Ether. Und für noch mehr Alkohol. Und für noch mehr Ether. Manchmal auch für Tramadol oder Alfentanil. Wer die Wahl habe, sagte er immer, dürfe nicht geizen, probieren sei Pflicht. Als Kyell ihn das letzte Mal vor zwei Wochen in einem Stadium zwischen zwei Wachkomas erlebte, da übergab Tykwer ihm ein schwarzes Buch und sagte, in diesem Buch fände er alles Wichtige, um dem Eid des Hippokrates gerecht zu werden. Bei komplizierten Angelegenheiten solle man ihn wecken. Das Problem nur war, er ließ sich nicht wecken. Und so war Kyell auf sich alleine gestellt, und das ging nicht immer gut aus.
    So wie vor zwei Tagen. Dabei war es, genau genommen, gar nicht seine Schuld. Das Malheur mit Arle. Arle, der Mischling, der mehr oder minder alle Rassen vereinigte, die es in Gwynfaer so gab. Groß war er, einem ausgewachsenen Mann ging er bis zur Hüfte. Und schön war er, irgendwie. Seine dunkelbraunen Augen erinnerten ihn immer an Tuvas Schokoladenkuchen, und sein graublondes Fell bestand aus dicken, langen Locken, die ständig gebürstet werden mussten, damit sie nicht verfilzten. Als Kyell zwei Jahre alt war, ist er Arle das erste Mal begegnet. Der Großvater hatte ihn mitgenommen, zu Linne, mit dem er einmal im Monat Schach spielte. Sie waren so sehr in ihr Spiel vertieft, dass sie gar nicht mitbekamen, wie Kyell, noch unsicher auf den Beinen, gen Meer torkelte, um mit Delfinen zu schwimmen, gleichwohl er noch gar nicht schwimmen konnte, aber das war ihm egal, er war in einem Alter, in dem er sich keine Gedanken darüber machte, was er konnte oder nicht konnte, er probierte Dinge einfach aus, und wenn es schiefging, dann weinte er eben, und dann gab es Bonbons mit Himbeergeschmack, und dann war alles wieder gut. Arle aber, der instinktiv begriff, dass Kleinkinder und das offene Meer eine unglückliche Kombination darstellten, packte Kyell im letzten Moment am Kragen und schleppte ihn wieder zurück an Land. Im Laufe der Jahre mehrten sich die ruhmreichen Geschichten um Arle, mal soll er Pelles Schafherde vor einem Rudel tollwütiger Wölfe beschützt haben, was umso bemerkenswerter war, da es in Gwynfaer eigentlich gar keine Wölfe gab, ein anderes Mal soll er aus Wein Wasser gemacht haben, aber das
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