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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen
Autoren: Einzlkind
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Nadjib, dein Timing war schon sehr viel besser«, begann Gretchen Morgenthau voller Milde, »aber du lässt dich immer noch zu schnell irritieren. Außerdem glaube ich dir einfach nicht, dass du abdrücken würdest. Und wenn ich es nicht glaube, wie soll ich dann Angst vor dir haben? Es spielt auch keine Rolle, dass deine Pistole aus Plastik ist. Du musst sie mir verkaufen, als sei sie eine doppelläufige Schrotflinte und dein Finger am Abzug ein nervöses Wrack, da du gerade Kokain im Wert eines Einfamilienhauses mit eingezäunter Wohlfühlfläche durch deine Nase gezogen hast. Und was ist das da an deinem Mund? Marmelade? Gangster haben keine Marmelade im Mundwinkel. Gangster haben Narben. Tiefe. Und warum bist du immer noch nicht im Stimmbruch? Diese hohe Tonlage ist wenig hilfreich, du solltest das verspätete Eintreffen deiner Pubertät nicht auf die leichte Schulter nehmen, du solltest Depressionen deswegen haben.«
    Nadjib blickte auf seine Sneakers. Er hatte gehofft, weiter zu sein, mehr Talent zu haben. Nach den beiden letzten Überfällen war die Kritik ähnlich vernichtend ausgefallen. Dabei hatte er sogar mehrmals täglich die Sprachübungen befolgt, auch das Posieren vor dem Spiegel wurde nie vergessen und doch kam er seinem großen Vorbild, dem wunderbaren Jules Winnfield, nur in Zeitlupe näher. Ein Rückschlag für seine Ambitionen, ein vollwertiges Mitglied der Dead Rabbits Gang zu werden. Erschwerend kam hinzu, dass sein Vater, der Rechtsanwalt, ein Muslim, seine Mutter, die Ärztin, aber eine Christin war. Wenig hilfreich war zudem die Erziehung, gegen die er zaghaft rebellierte, in der sehr viel Wert auf Anstand, Bildung und höfliche Umgangsformen gelegt wurde. Er sprach nahezu perfekt Arabisch, Französisch, Spanisch und Englisch und er hatte anfangs große Schwierigkeiten, Ey fick dich, du schwule Fotze, ich fick deine Schwester, die Hure, und deine Mutter, die Schlampe, die fick ich auch zu intonieren, und wenn er sich nicht richtig konzentrierte, dann benutzte er den Genetiv in Formvollendung, und das wurde in derlei kleinstkrimminellen Kreisen alles andere als gerne gehört. Auch der linguistische Logopäde konnte nicht helfen, er war überfordert und sagte, er wisse einfach nicht, wie Nadjib seine Grammatikstärke überwinden könne. Doch für die Straßenkredibilität, wie er es nannte, war es lebensnotwendig, Gesten, Gang und Duktus in Einklang mit der animalischen Brunftigkeit der intellektuell Unbedarften zu bringen. Wohl deshalb nahm er einmal die Woche Schauspielunterricht bei Gretchen Morgenthau, und dies, indem er einen knallharten Raubüberfall simulierte. 20 Pfund musste er pro Überfall bezahlen, eine Summe, die ziemlich genau seinem wöchentlichen Taschengeld entsprach.
    »Es wäre alles ein wenig einfacher, wenn Sie nicht immer so selbstsicher wären, wenn Sie Ihre Rolle als Opfer etwas realisitischer interpretieren könnten und auch nicht immer so hohe Absätze tragen würden.«
    »Vielleicht solltest du deinen potenziellen Opfern vorab die Kleiderordnung zukommen und einen Benimmkatalog ausfüllen lassen.«
    »Ich muss dann mal weiter, ich habe jetzt Klavierunterricht.«
    »Hast du nicht etwas vergessen?«
    Nadjib blickte auf den Boden und tippelte nervös von einem Fuß auf den anderen. »Ich habe mir diese Woche neue Kugellager für mein Skateboard gekauft. Würden Sie vielleicht einen Schuldschein nehmen?«
    Gretchen Morgenthau legte ihr allerliebstes Mädchenlächeln auf und sagte: »Netter Versuch, aber SEHE ICH ETWA AUS WIE EIN GOTTVERDAMMTER SAMARITER AUF WEIHRAUCH?«
    Nadjib erschrak und taumelte zwei Schritte zurück.
    Glaubwürdigkeit, des Naiven Sehnsucht. »Das war natürlich nur Spaß, mein lieber Nadjib. Selbstverständlich nehme ich auch einen Schuldschein. Du kommst aus einem guten Elternhaus, trägst ordentliche Kleidung und hast ausgezeichnete Manieren. Es besteht keine Fluchtgefahr, soweit ich zu erkennen vermag, du bist kreditwürdig. Sollte der Scheck allerdings nicht gedeckt sein, werde ich in einer dunklen Nacht im abnehmenden Mond vor deinem Bett stehen, dein Kuscheleinschlafkissen mit den niedlichen Koalabären nehmen und es so lange auf dein Gesicht drücken, bis dein letzter Atemzug in einem zitternden Rasseln verklingt.«
    Nadjib glaubte zu verstehen und lächelte vorsichtig.
    »Das war kein Spaß.«

4
    Die Praxis lag am anderen Ende des Dorfes. Kyell brauchte jeden Tag 15 Minuten Fußweg hin und 15 Minuten wieder zurück. Bei Gegenwind 16 und bei
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