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Grenzgänger

Grenzgänger

Titel: Grenzgänger
Autoren: Nina Behrmann
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Schwanzlurch genannt hatte, kündigte ich sofort.
    Wirklich bemüht hatte ich mich danach nicht um einen Job. Ich leckte lieber meine Wunden und verbarrikadierte mich. Bis meine Mutter eines Tages in meine Wohnung kam, mir einen seltsamen Tee verabreichte und ein Ritual mit mir vollzog. Ein Ritual hieß bei ihr, dass sie nackt Weihrauch verbrannte, in einer fremden Sprache sang und manchmal auch sich und die Umgebung mit Weidenzweigen peitschte. Sie wandte es bei fast allem an: Kopfschmerzen, Regelschmerzen, miese Nachbarn und GEZ-Beamten vor der Tür.
    Als Kind hat mich das nicht einmal geängstigt – bis ich Freunde mit nach Hause gebracht hatte. Einmal und nie wieder.
    So paradox es klingen mag, aber diesmal fühlte ich mich nach ihrem Singsang erheblich besser. Zumindest so weit wieder hergestellt, dass ich meine Wohnung verlassen konnte. Das war vor einer Woche gewesen. Aber meiner Mutter war das nicht genug. Vorgestern hatte ich diese Karte in meinem Briefkasten gefunden und einen Zettel, auf dem stand, dass ich für diesen Tag einen Termin hatte.
    Den ich wohl verpassen würde.
    Ich riss mich aus meinen Gedanken und bemerkte das Hupkonzert hinter mir erst jetzt. Der Abstand zu den Autos vor mir betrug nun erheblich mehr als nur einen Meter. Hastig ließ ich den Wagen an und fuhr los.
    Trotz kontinuierlichem Bleifuß kam ich eine Viertelstunde zu spät vor dem Büro der Agentur Triskelion an. Das Gebäude war in der Nähe des Hafens gelegen und wirkte alt. Nicht heruntergekommen, aber alt. In meiner Gegend gab es sehr viele Industrieruinen und es war schick geworden, diese umzubauen, zu modernisieren und sie dann als teure Lofts an gut bezahlte Manager oder Firmen zu vermieten. Das Haus hier machte den Eindruck, als wäre so etwas Mal angedacht gewesen. Aber auf halber Strecke hatte man es sich dann doch anders überlegt.
    Ich schlug den Mantelkragen hoch und war froh, dass ich meine langen Haare ausnahmsweise zusammengebunden hatte. Der Wind, der vom Hafenbecken herüberwehte und einen penetranten, wenn auch nicht allzu unangenehmen Geruch nach salzigem Wasser und Algen mit sich trug, hätte mir die Haare binnen kürzester Zeit zu einem einzigen Knoten gepustet.
    Auf der Tür gab es nur zwei Namensschilder und Klingeln. Das erste Schild war leer, auf dem zweiten war der Schriftzug zu sehen, den ich auch schon auf der Visitenkarte gelesen hatte. Die Tür selbst stand offen und ich trat ein. Vor mir lag ein langer Flur. Eigentlich seltsam für ein mehrstöckiges Gebäude. Des Rätsels Lösung lag am anderen Ende des Flurs, wo mich die Türen eines Aufzugs erwarteten.
    Mit leisem Surren fuhr er los und binnen kürzester Zeit hatte ich die zweite Etage erreicht. Als ich aus dem Lift trat, empfing mich ein ganz anderes Bild. Dieser Flur war mit einem weichen Teppich ausgelegt, auf dem sich stilisierte Drachen drängten. Ihre schuppigen Körper waren golden und hoben sich deutlich von dem Rot des Teppichs ab. Sehr realistisch.
    Auch der Rest der Einrichtung hatte einen asiatischen Touch – viel Glas, viel altes Holz und schöne Keramikvasen auf einem lackierten Tischchen.
    Ich ging den Flur hinunter. Eine Tür aus milchigem Glas stand einen Spaltbreit offen und ich lugte vorsichtig durch. Die Verspätung war mir peinlich und ich wollte erst einmal nachsehen, wer mir gleich den Kopf abreißen würde.
    Ich sah einen großen Vorraum mit einem Schreibtisch an der linken Seite. Davor saß ein Hüne mit kurzen schwarzen Haaren, die mit Gel in geordnete Unordnung gebracht worden waren. Er wandte mir von seiner Position aus den Rücken zu, weswegen ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Von den Ausmaßen seines Rückens her und der Art, wie das schwarze T-Shirt sich darüber spannte, schien er ziemlich kräftig zu sein.
    Auf der anderen Seite des Schreibtisches saß ein etwas kleinerer Mann. Er hatte das Kinn nachdenklich gegen seine Hand gelehnt und sah auf ein Schachspiel vor sich. Eine schmale Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet und verunstaltete das schöne Gesicht. Es hätte mich nicht überrascht, ihn auf Werbeplakaten an einer Bushaltestelle zu sehen. Aber so wie es aussah, zog er eine Bürotätigkeit vor. Der graue Anzug mit der tadellos gebundenen Krawatte zeigte mir gut genug, dass er in seinem Beruf aufging. Mein letzter Arbeitgeber hatte genau so ausgesehen.
    Er schüttelte gerade den Kopf und ich sah, wie ein langer, geflochtener Zopf aus blondem Haar auf seiner Schulter mitwippte.
    »Du solltest mehr
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