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Grenzgaenger

Grenzgaenger

Titel: Grenzgaenger
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Tag, auch in den Ferien.»
    «So was gibt’s doch gar nicht!»
    «Doch, so was gibt’s sicher öfter», fuhr Heinrichs fort. «Die Erzieherin ist davon überzeugt, dass der Vater die Familie schlägt. Sie untersucht den Jungen immer wieder auf Verletzungen, aber bis auf ein paar blaue Flecken, zu denen der Junge nichts sagt – klar, ein Indianer kennt keinen Schmerz –, findet sie nichts. Und die Mutter hält den Mund.»
    «Aber wie hat sie das mit der kalten Dusche denn rechtfertigen können?»
    Im Labor krachte es laut.
    «Ganz logisch. Das Kind sei so anfällig für Erkältungen und müsse abgehärtet werden.»
    «Mein Gott, da muss man doch was machen können.»
    «Was denn? Natürlich ist das Kindesmisshandlung. Aber es gibt keine rechtliche Handhabe. Schließlich liegt es im Ermessen der Eltern, wie sie ihre Kinder erziehen. Es heißt ja sogar ‹Erziehungsgewalt›, nicht wahr? Solange kein körperlicher Schaden vorliegt – wer redet schon vom seelischen! Solche Sachen sind bestimmt nicht selten.»
    «Wahrhaftig nicht!» Toppe hatte schon die ganze Zeit etwas sagen wollen. «Und das erlebst du ja nicht nur in der Familie. Es geht um die Einstellung, die man überhaupt so zu Kindern hat. Wenn ich überlege, was ich voriges Wochenende bei einem Kinder-Fußballturnier erlebt habe.»
    Und wieder polterte es oben.
    «Mein Sohn spielt doch seit ein paar Monaten Fußball in der F-Jugend von Siegfried Materborn, und wir waren jetzt zu einem Turnier eingeladen bei diesem Klever Renommierclub. Uns ist schon immer aufgefallen, wie gedrillt die Kinder von dem Verein sind – und man muss bedenken, das sind Kinder zwischen fünf und acht. Und wie scharf die immer aufs Gewinnen waren! Jetzt weiß ich auch, warum.
    Die Kleinen von dem Club hatten ihr erstes Turnierspiel 0:1 verloren und waren ganz schön niedergeschlagen, sowieso schon. Und da geht doch dieser Trainer hin, selbst höchstens neunzehn, holt die ganze Mannschaft zusammen und verschwindet mit denen im Gebüsch. Und dann höre ich auf einmal eine wahnsinnige Brüllerei und bin hin. Da saßen die Kinder auf dem Boden, und dieser Trainer hatte sich vor ihnen aufgebaut und brüllte die zusammen, aber wie! ‹Du dumme Sau! Du bist schuld, dass wir verloren haben. Du allein. Das ist doch wieder typisch für dich. Du denkst doch keine Sekunde an deine Kameraden.› Und einer von den Kleinen fing ganz zaghaft mit ‹aber› an. Da ging’s erst recht los: ‹Schnauze! Ich will keinen Ton mehr von euch hören. Schande bringt ihr über den ganzen Verein. Und keiner schämt sich dafür? Da wird mir ja ganz schlecht. Hier bleibt ihr jetzt sitzen und denkt nach, was ihr getan habt. Und wenn sich auch nur einer rührt, dann ist aber was los!›»
    Astrid blieb der Mund offen stehen. «Das kann doch nicht wahr sein! Und dann?»
    Von oben hörte man wieder ein lautes Donnern. Alle schauten irritiert zur Decke.
    «Die Kinder saßen da und starrten auf den Boden, und keiner rührte sich mehr.»
    «Und du hast nichts unternommen?», fragte van Appeldorn wütend.
    «Doch, natürlich. Ich habe dem Typen mit einer Anzeige beim Fußballverband gedroht.»
    «Und?»
    «Das hat den nicht sonderlich gekratzt. Aber er ging dann weg. Und nach zehn Minuten kam er mit einem Karton Eis zurück. Meinte, jetzt hätten sie wohl eingesehen, was für einen Mist sie gebaut hätten, besonders der, den er ‹Daniel, du Flasche› nannte, aber das würden sie ja wohl nie wieder tun, und jetzt kriegten sie erst mal ein Eis. Und das nächste Spiel sei in zehn Minuten gegen Materborn, und das seien sowieso Pfeifen. Und dann hat er sie systematisch heißgemacht.»
    «Gehirnwäsche», murmelte van Appeldorn, «auch nicht anders als bei der Mun-Sekte. Nein, aber ernsthaft, da muss man doch was unternehmen, Helmut.»
    «Ja, muss man wohl.» Breitenegger nahm seine Pfeife aus dem Mund. «Aber wir sollten uns jetzt endlich an die Akten machen. Schließlich ist da ja auch noch diese Selbstmordgeschichte von Samstag.»
    Heinrichs schüttelte unwillig den Kopf. «Du engagierst dich wohl mehr für den Tierschutz, was?»
    Breitenegger kniff die Lippen zusammen. «Ich will dir mal was sagen, Walter, meine Frau ist Geschäftsführerin beim Kinderschutzbund in Kevelaer. Was meinst du, was ich dir alles zum Thema Kindesmisshandlung erzählen könnte.»
    Oben im Labor polterte es kurz, dann war es wieder still.
    «Nur», fuhr Breitenegger fort, «nur, wenn wir uns hier darüber aufregen, dann nutzt das keinem was.
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