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Graveminder

Graveminder

Titel: Graveminder
Autoren: Melissa Marr
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schritt vor Charles auf und ab.
    »So habe ich es noch nie gehört«, meinte er mit einem seligen Lächeln, »aber es ist eine gute Umschreibung. Graveminder sind heilig. Sowohl in dieser als auch in der anderen Welt schätzen ich und unsere vielen Kinder Sie über alles.«
    »Also waren die Kugeln bei meinem ersten Besuch ein Muttertagsgeschenk? Und dass sie sich auf mich gestürzt haben und mir die Haut abziehen wollten, darf ich dann wohl als Umarmung verstehen.« Rebekkah starrte Charles wütend an. »Das nehme ich Ihnen nicht ab.«
    »Manche Kinder sind eben widerspenstig, das gestehe ich Ihnen zu. Aber Sie sorgen trotzdem für sie, und ich tue mein Möglichstes, um für Sie zu sorgen.« Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln und hielt ihr dann ein Tellerchen hin, auf dem winzige Sandwiches lagen.
    »Das ist doch alles vollkommen durchgeknallt«, murmelte sie.
    Trotzdem setzte sie sich wieder auf den Stuhl, der ihm gegenüberstand.
    Mit zufriedener Miene führte Charles ein Sandwich zum Mund.
    »Was ist mit Alicia?«, fragte sie.
    Die Hand mit dem Sandwich hielt kaum wahrnehmbar inne. »Die verstorbene Miss Barrow bereitet mir Kopfschmerzen ohne Ende.«
    »Und?«
    »Nichts. Ich habe keine Lust, noch mehr zu erzählen.« Er biss von seinem Sandwich ab.

56. Kapitel
    Kurz wiegte Charles sich in dem Glauben, Rebekkah habe sich mit seinen Antworten zufriedengegeben, doch dann sah sie ihn finster an. »Nein.«
    »Nein?«, wiederholte er.
    »Gerade eben habe ich eine Frau zum Tode verurteilt, weil sie Graveminder sein wollte, aber nicht Ihre Sklavin.« Rebekkah schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Vertrag unterschrieben und spiele hier ein Spiel, dessen Regeln ich nicht kenne. Und Sie halten Informationen zurück. Ich habe ein paar Erklärungen verdient, Charles.«
    Nichts zwang ihn, ihr zu antworten. Keine Regel schrieb vor, dass er seine Fehler zugeben musste. Aber man lebte keine Ewigkeit lang, ohne Menschenkenntnis zu erwerben. Wenn seine Totenwächterin die Wahrheit kannte, stünde sie ihm wohlwollender gegenüber. Für Charles war das Grund genug.
    »Einmal, vor fast dreihundert Jahren, kam eine Frau hierher, Abigail. Öffnete ein Tor und stand vor mir. Eine lebendige, strahlende Frau hatte mein Reich betreten. Meine Abigail. Sie war wirklich unglaublich. So energisch wie Sie.« Er lächelte Rebekkah leise zu. »Es gibt noch andere Totenländer, aber dieses hier war ganz neu.«
    »Warum?«
    Er wedelte mit der Hand. »Hauptsächlich Platzprobleme. Sie werden zu voll, und neue bilden sich. Dieses hier habe ich übernommen, und es war mir wirklich eine Ehre. Ich bin nicht das einzige Gesicht des Todes, meine Liebe, aber an einem Ort, der vor jeder Erinnerung liegt, war ich einst etwas anderes. So viel weiß ich. Ich bin das Nichts, das Gestalt angenommen hat.«
    »Oh.«
    »Wahrscheinlich erweckt das in einem Mann den Ehrgeiz, sich zu beweisen.« Er schenkte ihr ein selbstironisches Lächeln. »Ich hatte mein neues Land, neue Tote, und ich war arrogant. Ich bin Abigail verfallen. Ich weiß, das klingt töricht, aber es kann ein schwindelerregendes Gefühl sein, wenn man von einem Nichts zu einem funktionierenden Lebewesen wird. Abigail hat mich verhext, daher sagte ich Ja, als sie darum bat, die andere Welt besuchen zu dürfen.«
    Er versuchte, Rebekkahs Reaktion zu erraten, aber sie schwieg und hatte eine undeutbare Miene aufgesetzt, daher fuhr er fort: »Sobald der Pfad geöffnet war, kehrten auch andere zurück. Doch im Gegensatz zu Abigail waren sie tot. Sie überfielen Menschen und schwächten die im Entstehen begriffene Stadt – und Abigail musste sie mit Gewalt hierher zurückbringen.
    Ich kann nicht auf die andere Seite gehen, konnte mich also bei ihr auf keine Weise nützlich machen. Deswegen habe ich einen Pakt mit der Stadt geschlossen.« Er holte tief Luft und sah Rebekkah unverwandt an. »Das Portal konnte ich nicht schließen, aber ich konnte der Stadt etwas anderes geben. Schutz, um ihre Welt im Großen und Ganzen sicher zu machen, um sie in dem Glauben zu wiegen, die Veränderung, das Tor, sei ihr Werk gewesen. Hätten die Bewohner von Claysville gewusst, dass Abigail Unrecht getan hatte, indem sie das Tor öffnete, hätten sie sie umgebracht, und dann hätten meine Toten sie überrannt. Ich musste Abigail schützen.«
    »Also haben Sie gelogen«, meinte Rebekkah leise.
    »Ich habe einen Pakt geschlossen«, verbesserte er sie. »Wenn sie gestorben wäre, wären sie alle umgekommen. Diese
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