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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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wusste es nicht mehr.
Diesmal blieb er kurz stehen und betrachtete die brüchige Farbe des Schildes. Er hatte sein ganzes Leben in Devon verbracht. Er war jeden Tag an dieser Stelle entlanggekommen, die Satteltaschen mit Zeitungen oder Werbeprospekten beladen. Diesmal wusste er, dass er zum letzten Mal an dem windschiefen Schild vorbeifahren würde. Es erschien ihm gerade, als stünde er vor einer unsichtbaren Grenze, die nicht nur Devon vom Niemandsland der Hügel trennte, sondern auch sein altes Leben von dem, was noch vor ihm lag. Was immer das auch sein mochte.
Er war versucht, zurückzublicken. Noch einmal die Dächer seiner Heimat sehen. Doch stattdessen richtete er seine Augen auf den ausgefahrenen Feldweg, in den der graue Asphalt überging, und der stetig anstieg, bis er in etwa zweihundert Metern in eine brüchige, mit Schlaglöchern übersäte Straße überging, hinter einem Felsen verschwand und sich durch die Hügel schlängelte.
Daryll wusste nicht, wie man den Landstrich oberhalb von Devon nannte. Für ihn waren es immer nur ›Die Hügel‹ gewesen. Und genauso wollte er sie auch in Erinnerung behalten.
»Wir sehen uns, J.D.«
Mit versteinertem Gesicht ließ er das alte Stadtschild hinter sich. Der Wind begann an seiner Kleidung zu zerren und hieß ihn mit kalten Umarmungen willkommen. Was ihn in den Hügeln erwartete, wusste er nicht. Doch alles war besser als Devon und seine grausamen Erinnerungen an Mary Jane.
Er dachte an den Wagen, den er durch die Stadt hatte fahren hören. Ein klappriger, alter Motor. Es konnte natürlich sein, dass der Fahrer einfach nur durch Devon in die nächste Stadt gefahren war und sich bereits hunderte von Meilen weiter westlich befand, auf der Suche nach Überlebenden. Aber ebenso gut bestand die Möglichkeit, dass der Wagen den Weg in die Hügel genommen hatte.
Schweiß perlte von Darylls Stirn und ließ sein Gesicht wie eine gekühlte Maske erscheinen. ›Alles ist besser als Devon‹, dachte er und sah noch einmal Mary Janes Gesicht vor seinen Augen. ›Alles ist besser, als alleine zu bleiben.‹
Dann erreichte er den Felsen, der ihn wie ein stummes Mahnmal anzustarren schien, fuhr um ihn herum und ließ seine Kindheit hinter sich zurück.
II
So sehr sich Daryll auch bemühte, er schaffte es nicht, seine Gedanken abzuschalten, während er durch die karge, felsige Landschaft fuhr. Wie eine gigantische, eiskalte Flut brachen Wellen farbloser Bilder über ihn herein. Er erinnerte sich plötzlich daran, wie die Hügel im Sommer rochen. Die Luft schien immer den Duft von nassem Gras und Erde mit sich zu tragen. An manchen Stellen war der Geruch nach Blumen so intensiv gewesen, als hätte eine Frau mit aufgelegtem Parfüm ihn gestreift. Die Tümpel auf der staubigen Straße rochen nach Moder. Daryll war dennoch durch sie hindurchgefahren, die Beine angezogen, und hatte beobachtet, wie das schmutzige Wasser in Fontänen zur Seite gespritzt war.
Die Gerüche waren verschwunden. Ebenso die Farben. Alles war grau. Die Felsen, die Straße, selbst die Wiesen erschienen ihm wie stille, farblose Seen, auf deren Oberfläche der kalte Wind die Wellen kräuselte.
Umso mehr verhöhnten ihn die Erinnerungen an die Tage, an denen er in die Hügel gefahren war, seine Satteltaschen mit den letzten Zeitungen beladen, die von seiner üblichen Runde durch Devon übrig waren. Die Fahrt zu den Millers, Jennings´ und zum kleinen Laden von ›Mr. Murphy‹, wie Daryll den seltsamen, mürrischen Mann, der in der kleinen Blockhütte gleich über der Stadt lebte, im Geheimen nannte, hatte er sich stets bis zum Schluss aufgehoben. Der Anstieg in die Hügel war teilweise recht steil, und so hatte Daryll das Gewicht der Zeitungen gerne in Devon zurückgelassen.
Er hatte sich auf diesen letzten Teil seine Route immer besonders gefreut. Im Gegensatz zu vielen seiner Freunde in der Schule, die sich fortwährend über die alltägliche Ruhe der ländlichen Stadt beschwerten und sich selbst in späteren Jahren in Metropolen wie New York oder San Francisco in einem gläsernen Büro mit hübscher Sekretärin sitzen sahen, hätte Daryll die Stille und die Gerüche der Hügel gegen nichts auf der Welt eingetauscht. Die Berge waren seine Welt. Hier sagte ihm niemand, was er tun oder lassen sollte, hier war er fern von den merkwürdigen Eigenarten der Großstadtmenschen, die zwangsläufig an die Oberfläche zu steigen schienen, wenn man Schulter an Schulter und Haus an Haus mit ihnen leben musste.
In den
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