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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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unregelmäßige Knattern eines alten Motors zu hören. Das Geräusch kam näher, jedoch nicht so nah, dass Daryll hätte sagen können, wessen Auto er da hörte. Doch als er hinunter zum Stadtzentrum blickte, konnte er die schwarze Silhouette eines alten Pick-ups erkennen, der kurz am Ende der Straße auftauchte und gleich darauf wieder verschwand.
Daryll erstarrte mitten in der Bewegung. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die Stelle, an der der Wagen verschwunden war. Doch das allmähliche Verhallen des Motors verriet ihm, das der Pick-up nicht zurückkehren würde.
Wie lange er mitten auf der Straße vor der Schule gestanden hatte, wusste er nicht. Doch irgendwann hatte er sich einfach auf den Mittelstreifen gesetzt, seine Arme auf den Knien abgestützt und mit müden Augen die Straße zum Stadtzentrum hinunter geschaut.
Er hatte gewartet, bis der Tag sich zu verdunkeln begann. Doch die Stadt war still geblieben, und der Wagen nicht wieder aufgetaucht.
VII
Daryll warf ein weiteres Steinchen nach dem Papier. In seinem Kopf formten sich Gedanken, die er nicht zu fassen wagte. Er dachte an Mary Jane und den alten Pick-up mit dem stotternden Motor. Er dachte an ›Tenberries‹ und das Abbild des Ungetüms in der Scheibe der Eingangstür. Und daran, dass er allein in dieser sterbenden Welt war.
Das war der Moment, in dem sich der schwankende Schatten der Gedanken in etwas Konkretes verwandelte und Darylls Verstand zu sprengen drohte. Er nahm den letzten Stein und warf ihn nach dem Papier. Dann sprang er vom Sockel herunter, ging zur Matratze in seinem Klassenzimmer und griff nach dem alten Rucksack. Mit gleichmütigen Bewegungen begann er das Wenige, das er an Kleidung besaß, einzupacken. Dazu einige Konserven und zwei Flaschen mit Wasser. Zuletzt legte er das Buch in den Rucksack, das er Mary Jane an ihrem letzten gemeinsamen Abend vorgelesen hatte. In die Seitentaschen steckte er zwei Ersatzmagazine für seine Magnum. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, ging er wieder nach draußen.
Mit einem geübten Wurf schulterte er den Rucksack und erschrak darüber, wie viel Kraft er in den vergangenen beiden Wochen verloren hatte. Der Tornister schien mit schweren Steinen gefüllt zu sein.
Er ging zu seinem Fahrrad, das wie immer neben dem Eingang an der Wand lehnte, überprüfte den Sitz seiner Waffe im Hosenbund und schwang sich auf den Sattel. Als er zum Tor fuhr, spürte er die Kälte, die der Wind mit sich trug. Es erinnerte ihn an ihre Fahrt zu ›Tenberries‹, nur mit dem Unterschied, dass die Kälte sich damals warm angefühlt hatte.
Auf der Straße blieb er stehen.
›Es wird Zeit, zu verschwinden‹, dachte er.
Seine Gedanken versuchten zu Mary Jane zurückzukehren. Doch er zwang sich, seinen Kopf frei zu halten. Er blickte die Straße hinunter und sah zwei Kinder, die lachend den Berg hinabfuhren. Ein kleines Stückchen unbeschwerte Welt inmitten von Leere und Stille. Ihre Schatten wurden eins mit der Dunkelheit der Stadt.
Ohne den beiden nachzusehen, wendete er sein Fahrrad. Der Wind schien noch kälter zu werden, als er in Richtung der Hügel über der Stadt davonfuhr.
Als er Devon verließ, machte Daryll einen weiteren Schritt aus seiner Kindheit heraus.

Kapitel 2
Nirgendwo

I
›In Deep Water you can share your dreams with friends.‹
Er erinnerte sich noch gut an den Song der Theateraufführung in der Schule. Es war ein heißer Sommernachmittag gewesen. Die Temperaturen in der Sporthalle der Schule waren erdrückend, die Luft roch nach Schweiß und Parfüm, mancherorts sogar nach Bier und Zigaretten, obwohl ein Schild am Eingang beides strengstens untersagte.
Es gab verschiedene, von den Eltern zubereitete Salate und Sandwiches, dazu alkoholfreien Punsch und Säfte, die allesamt auf schmalen, überladenen Tischen vor der Kletterwand der Sporthalle standen.
Wulf erinnerte sich noch gut an das nervöse Gesicht seines Sohnes, wie er, zusammen mit einigen anderen Jungs aus seiner Klasse, auf der Holzbühne stand und dieses Lied sang. Ihre Stimmen klangen seltsam hohl in der großen Halle. Dennoch brannte sich die simple Melodie in Wulfs Gedächtnis und quälte ihn nun.
Es gab keine Träume mehr. Und auch keine Freunde, mit denen man sie hätte teilen können. Im Grunde gab es auch kein Deep River mehr.
Wulf blickte die Straße hinunter. Über den Dächern der niedrigen Bungalows, verdeckt durch eine Ansammlung von Eichen am Eingang zum Park, konnte er den alten, hölzernen Glockenturm der Schule mit
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