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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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hängend und die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, da ihn, nach so vielen Stunden im Dämmerlicht des Klassenzimmers, der triste Tag blendete. Er hatte das groteske Gefühl, Teil eines jener abstrakten Gemälde zu sein, die sie sich vor etwa einem Jahr mit Mr. Johnson, ihrem Kunstlehrer, während einer Ausstellung im Gemeindezentrum angesehen hatten.
Die Häuser um ihn herum wirkten gemalt, ebenso die verwilderten Gärten und grauen Straßen. Selbst der Himmel schien der waghalsigen Hand eines entarteten Künstlers entsprungen zu sein. Nur dass dieser Maler, entrückt von den Schönheiten der Welt, all seine Linien und Formen in Grau und Schwarz gehalten hatte. Es gab nichts Buntes, nichts Lebendiges in diesem Denkmal der Traurigkeit. Es waren Bilder, die der Tod persönlich gemalt hatte.
Plötzlich konnte Daryll das Lachen von Kindern hören. Er drehte sich um, und da sah er Mary Jane, die auf ihrem Fahrrad die Straße heruntergerast kam. Sie beugte sich tief über den Lenker, während sie ihren Mund weit geöffnet hatte und aus vollem Halse lachte.
Daryll folgte ihr auf seinem leuchtend roten Mountainbike. Er fuhr absichtlich etwas langsamer um seiner kleinen Freundin den Spaß nicht zu nehmen. Ihr Lachen tat so gut. Es war, als hätte jemand einen ganzen Eimer mit Farbe über der Stadt ausgegossen, die der Schwermut des Himmels den Schein zurückgab.
Die beiden Fahrräder rasten an Daryll vorbei. Das Lachen zog wie das Flattern einer Fahne im Wind hinter ihnen her, wurde leiser und wurde zu einem letzten tonlosen Echo. Dann war es wieder still. Die Farben verblassten.
Daryll rannte los, in Richtung ›Tenberries‹. In seiner Brust hämmerte ein Herz, das zu groß für diesen schmächtigen Körper war. Er wollte sie einholen und anhalten, wollte Mary Jane in die Arme schließen und ihr sagen, dass er sie nie mehr alleine lassen und für den Rest ihres Lebens beschützen würde. Er wollte den Jungen auf dem Fahrrad am Kragen packen und ihm sagen, er solle für immer auf das kleine Mädchen aufpassen. Doch so sehr er sich auch anstrengte, die beiden Kinder waren verschwunden, die Straße vor ihm leer. Papierfetzen rollten träge über den Asphalt. Aus einem Fenster hing eine Gardine und winkte ihm traurig zu.
Daryll rannte weiter. Seine Muskeln begannen zu brennen, doch er suchte unbeirrt nach dem Lachen der Kinder, dem ausgelassenen Gejauchze von Mary Jane. Aber alles, was er fand, war eisiges Schweigen.
Als er den Parkplatz von ›Tenberries‹ erreichte, blieb er stehen. Sofort spürte er Stiche in der Brust und in den Beinen. Er sah sich um und betrachtete die dunkle, im Schatten liegende Front des Supermarktes. Dort, wo sich der graue Tag als geisterhafter Schemen im Glas der Eingangstür spiegelte, war diese widerliche Kreatur an sie heran geschlichen, ohne dass Daryll etwas davon bemerkt hatte. Vor seinen Augen entstand jenes verzerrte Abbild in den Scheiben, als hätte die Erde eines ihrer fürchterlichsten Geschöpfe ausgespien. Er wandte sich ab, mit Tränen in den Augen, als die Gestalt der Bestie wie in einem schlechten Film durch das leichenfahle Gesicht von Mary Jane ersetzt wurde.
Gegen die Seitenwand des Gebäudes gelehnt, konnte er die schwarzen Silhouetten zweier Fahrräder erkennen. Mit schnellen Schritten rannte er in die Schatten des Supermarktes, griff nach seinem Fahrrad und schwang sich so schnell in den Sattel, dass er nur mit Mühe das Gleichgewicht halten konnte. Dabei streifte sein Blick das kleinere Fahrrad von Mary Jane. Einige bunte Bänder waren an die Lenkstange geknotet und bewegten sich wie Trauerschleifen im Wind. Seine Kehle schnürte sich zu. Doch noch bevor das Abbild ihres sterbenden Gesichtes erneut vor ihm auftauchen konnte, wandte er sich ab und fuhr über den Parkplatz zur Straße zurück.
Seine Beine schmerzten immer noch vom Laufen, doch er trat mit aller Kraft in die Pedale, bis er die Schatten des Supermarktes nicht mehr sehen konnte. Dabei lauschte er angestrengt in die Stille der Stadt hinein. Das heißere Knurren der Kreatur auf dem Parkplatz von ›Tenberries‹ war ein Geräusch gewesen, das er in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde. Ein Dröhnen, das nicht in die alte Welt passen wollte.
Doch alles blieb still. Devon verharrte in seinem Schweigen und beobachtete teilnahmslos den Jungen, der in der Mitte der Straße durch die Stadt radelte und sich mit erschöpfter Miene nach allen Seiten umblickte.
Daryll fuhr zu allen Plätzen, von denen ihm Mary
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