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Grappa 03 - Grappa macht Theater

Grappa 03 - Grappa macht Theater

Titel: Grappa 03 - Grappa macht Theater
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Beißnich und sah auch so aus.
    Die Praxis, die er im Bierstädter Westen führte, war eine Mischung aus Bankschalter und Computerausstellung. Obwohl es ein normaler Werktag war, herrschte gähnende Leere.
    »Sie haben Lazarus Beutelmoser zu einem schwerkranken Mann gemacht!« Hugo Beißnichs Stimme war ein einziger Vorwurf.
    »Ein bisschen Schwund ist immer!«, sagte ich und stellte mich seelisch auf weitere Vorhaltungen ein.
    »Ist es denn die feine Art, einem Freund das Manuskript zu stehlen und es als sein eigenes auszugeben?«, hielt ich ihm schüchtern entgegen.
    »Wir Therapeuten fragen nicht nach den Tatsachen, sondern nach den Hintergründen. Das ›Warum‹ steht im Mittelpunkt.«
    »Auch gut. Dann sagen Sie mir: Warum hat er das gemacht?«
    Hugo Beißnich stellte sich seelisch und körperlich auf eine Vorlesung vor Erstsemestern ein. Er setzte seine goldumrahmte Brille ab und fixierte einen nicht vorhandenen Punkt auf der blütenweiß getünchten Wand.
    »Die menschliche Existenz ist dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch in seiner inneren Struktur allein und von der Welt getrennt ist. Er kann diese Trennung nicht ertragen, strebt also nach Verbindung zu ihr und Einheit mit ihr. Doch zugleich braucht der Mensch Unabhängigkeit, um das Einmalige seiner Existenz zu bewahren. Haben Sie mich verstanden?«
    »Irgendwie schon«, räumte ich ein, »aber was hat das mit Beutelmoser zu tun?«
    »Ich habe Ihnen eben das grundlegende Paradoxon der menschlichen Psyche geschildert. Aus ihm entsteht das grundlegende moralische Problem des Menschen. Wie bleibe ich ›Ich-Selbst‹, ohne die Verbindung zur Welt aufzugeben? Sagen Sie mir das, junge Frau!«
    Ich fühlte mich nicht angesprochen und schwieg. Er hatte sowieso nicht mit einer Antwort gerechnet, denn er fuhr fort: »Der Mensch – und hier wären wir bei dem Patienten Beutelmoser – muss sich produktiv zur Welt in Beziehung setzen, damit sich der Widerspruch auflöst. Das hat Herr Beutelmoser versucht.«
    »Doch er war in keiner Weise produktiv«, wandte ich ein, »sondern er hat das Buch gestohlen.«
    »Eben. Deshalb ist er ja krank. Als seine Lüge bekannt wurde, hat er sich in die Krankheit geflüchtet. Und da versuche ich ihn herauszuholen!«
    »Alles schön und gut!« Es war Zeit, dem Professor ein paar neue Tatsachen mitzuteilen, mit denen sich sein Patient »produktiv zur Welt in Beziehung« gesetzt hatte.
    »Jetzt sage ich Ihnen etwas, was Sie noch nicht wissen! Lazarus Beutelmoser ist nicht krank, sondern er täuscht uns alle. Er versteckt sich in der Klinik, um nicht wegen Mordes angeklagt zu werden. Er hat die Schauspielerin Beate Elsermann umgebracht!«
    Der Professor verzog keine Miene. »Ich weiß«, meinte er schlicht.
    »Wie bitte? Sie wissen das?«
    »Ich habe zu Herrn Beutelmoser ein wunderbares Vertrauensverhältnis aufgebaut. Ohne die ärztliche Schweigepflicht zu verletzten, kann ich Ihnen folgendes sagen: Beutelmoser hat von Herrn Prätorius das Manuskript zwecks Begutachtung erhalten. Als der Journalist entführt und getötet wurde, bekam Herr Beutelmoser die Idee, den Roman als sein Werk zu veröffentlichen. Dann kamen Sie, Frau Grappa! Er fühlte sich bedroht, brach in die Wohnung des Journalisten ein und holte die Manuskript-Kopie. Die Schauspielerin hat dann später versucht, ihn zu erpressen. Beutelmosers Krankheitsbild war da schon sehr weit fortgeschritten. Er hatte den Bezug zur Realität so weit verloren, dass er zu der jungen Frau fuhr und sie tötete. Als Sie ihm auf der Pressekonferenz Betrug vorwarfen, verwischten sich bei ihm die Grenzen zwischen Wahrheit und Wahnsinn.«
    Ich war erschüttert. Nicht über das Leiden Beutelmosers, sondern über die Aussicht, dass ein Mord ungesühnt bleiben sollte. Irgendwie bin ich ein bisschen altmodisch in solchen Sachen. »Können Sie Beutelmoser heilen?«, fragte ich.
    »Das muss die Zeit beantworten.« Der Doktor hatte sich verbal verausgabt und schnaufte.
    »Solange er in der Klinik ist, kann ihm wohl nichts passieren, oder?«, wollte ich wissen.
    »Wollen Sie einen schwerkranken Mann für eine Sache büßen lassen, für die er nicht verantwortlich gemacht werden kann?«, fragte er mit strengem Blick.
    »Und das Opfer? Es handelte sich um eine lebenslustige Frau! Sie ist tot! Beutelmoser hat sie erwürgt! Begreifen Sie das nicht?«
    »Ich bin Arzt«, sagte er ungerührt, »das ›Warum‹ ist maßgebend und nicht das ›Was‹. Ich dachte, Sie hätten das verstanden!«

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