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Grappa 03 - Grappa macht Theater

Grappa 03 - Grappa macht Theater

Titel: Grappa 03 - Grappa macht Theater
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Strauch hier?
    Gestrauchelt bin ich hier, denn jeder trägt
    Den leid'gen Stein zum Anstoß in sich selbst.«
    Der weitere Dialog der beiden drehte sich dann darum, auf welche Art und Weise und bei welcher Gelegenheit der Richter so ramponiert worden war.
    Paul Pistor spielte brillant. Ihn schien der Dreck, in dem er sich bewegen musste, nicht zu stören. Nur die Hühner hatte er nicht im Griff, denn sie hatten einen Narren an ihm gefressen. Sie liefen ständig auf ihn zu, als sei er ihr Stiefvater. Er revanchierte sich mit Schlägen und Tritten, ohne seinen Text zu vergessen.
    »Nun denn, so kommt, Gevatter«,
    schleuderte Pistor seinem Schreiber entgegen.
    »Folgt mir ein wenig zur Registratur;
    Die Aktenstöße setz ich auf, denn die,
    Die liegen wie der Turm zu Babylon.«
    Der erste Auftritt war vorbei. Stille. Erst dann ein zögernder Applaus. Zu dem Applaus gesellten sich erste Buh-Rufe. Ich gehörte zu den Klatschenden. Immerhin hatte es viel Arbeit gekostet, den Schlamm in solchen Mengen auf die Bühne zu schaffen. Und die Idee mit dem Federvieh war wenigstens originell.
    Ich blickte zu Nello von Prätorius. Der Kulturkritiker des »Bierstädter Kulturechos« saß regungslos auf seinem Platz und hatte die Hand vor die Augen gelegt. Er litt. Er hatte einen Schock. Sein Zustand war kritisch. Ich würde mich in der Pause um ihn kümmern müssen!
    Gnadenlos schob sich der Vorhang wieder zur Seite. Richter Adam und sein Schreiber in Aufruhr. Ein Gerichtsrat aus Utrecht hatte sich zum Kontrollbesuch angesagt. Hektische Unruhe im Schlammhaufen, denn des Richters Perücke war verschwunden.
    »Der Teufel soll mich holen!
    Ich hatte die Perücke aufgehängt,
    Auf einen Stuhl, da ich zu Bette ging,
    Den Stuhl berühr' ich in der Nacht, sie fällt …«
    »Drauf nimmt die Katze sie ins Maul …«
    mischte sich der Schreiber ein,
    »Und trägt sie unters Bett und jungt darin.«
    Nello von Prätorius kauerte noch immer in seinem Sitz, schien sich aber – aus seiner Erstarrung erwacht – wieder dem Schauspiel zuzuwenden. Ich erkannte im Halbdunkel, dass er sich Notizen machte. Die Schauspieler selbst schienen keinen Spaß mehr an dem Schlammbad zu haben, denn sie leierten ihre Sätze rasch und lieblos und – wie ich fand – reichlich genervt herunter.
    Im Theaterraum wurde es unruhig. Die Zuschauer tuschelten miteinander. Die ersten gingen bereits.
    Paul Pistor, der alte Profi, versuchte, die Aufmerksamkeit wieder auf sich und seine Rolle zu lenken:
    »Willkommen, gnäd'ger Herr, in unserm Huisum!«
    dröhnte er in den Raum.
    »Wer konnte, du gerechter Gott, wer konnte
    So freudigen Besuches sich gewärt'gen.
    Kein Traum, der heute früh Glock achte noch
    Zu solchem Glücke sich versteigen durfte!«
    Das Glück war ausgesprochen einseitig und fand nur im Textbuch statt. Immer mehr Zuschauer standen auf und drängelten durch die Reihen ins Freie. Paul Pistor blickte irritiert in das Dunkel des Zuschauerraums. Eine solche Massenflucht hatte selbst er, der seit 30 Jahren Leute bei Laune hielt, noch nicht erlebt.
    Zurzeit lief erst der vierte Auftritt ab, bis zur Pause dürfte das Theater leer und der Skandal perfekt sein.
    »Bleiben Sie bitte sitzen! Gehen Sie nicht auch noch!«, flüsterte es neben mir. Ich blickte zur Seite. Ich hatte gar nicht darauf geachtet, dass sich ein junger Mann neben mich gesetzt hatte.
    »Keine Sorge«, beruhigte ich ihn, »ich bleibe bis zum bitteren Ende. Ich habe schließlich für das ganze Stück bezahlt. Wie finden Sie die Inszenierung denn?«
    »Ich weiß nicht«, sagte er zögernd, »ich habe keine Ahnung vom Theater.«
    »Das verbindet uns.«
    Ich betrachtete ihn. Ungefähr mein Alter, vielleicht etwas jünger. Große schwarze Augen, die im Dunkeln wie heruntergebrannte Eierbriketts glommen. Schwarzes volles Haar, das wirr um den Kopf stand. Er krallte sich an der Vorderlehne fest, schien unter Strom zu stehen.
    »Warum sind Sie denn hier, wenn Sie keine Ahnung vom Theater haben?«, wollte ich wissen.
    »Die Eve ist meine Freundin«, sagte er wie abwesend, »sie tritt gleich auf. Sehen Sie, wie viele Leute schon gegangen sind! Wenn sie kommt und der Saal ist leer! Nein, das übersteht sie nicht! Da, jetzt kommt sie! Schauen Sie doch!«
    Eine ältere Frau in Bauernkleidern stolperte durch den Morast auf den Richter und den Gerichtsrat zu. Sie lamentierte endlos über einen Krug, den ein Unbekannter in der Nacht zerdeppert hatte. Hinter ihr eine jüngere Frau und zwei Männer. Ich guckte
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