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Granatsplitter

Granatsplitter

Titel: Granatsplitter
Autoren: K Bohrer
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wuchs im Garten, und seine Sachen wusch er selbst in einem riesigen Kessel, der auf dem mit Briketts geheizten Herd stand. Die Briketts besorgte er sich von den vorbeifahrenden Güterzügen, die oft in seiner Gegend stehenblieben. Sein Klo war draußen im Garten, über einer großen Dunggrube. Hannes lebte hier wohl wie im Frieden, denn die Engländer hatten noch nicht begonnen, die Gleise zu bombardieren. Es fiel ihm auch auf, dass Hannes kein Kreuz, keine Mutter Gottes und kein Jesusbild hatte, wie der Junge es vom Haus der Großeltern gewohnt war. Der Mann glaubte wohl nicht an den lieben Gott. Er würde in die Hölle kommen. Ja, sie waren hier in einem Vorort der dunkelroten Hölle. Das war gruselig, aber so ungeheuer aufregend, dass er sich immer wieder auf die düstere Hütte am Bahndamm freute.
    Die Prügelei war nicht heftiger gewesen als das, was er manchmal in der Schule erlebte. Nun machte er sich wieder auf den Weg nach Hause zum Haus der Großeltern. Er ging an einer langen Friedhofsmauer entlang, an die direkt ein Zuckerrübenfeld anschloss. Dieser westlichste Vorort gehörte erst seit kurzem offiziell zum Stadtgebiet. Hierher verlief sich kaum einer. Am Beginn einer langen Chaussee mit Kopfsteinpflaster und Kastanienbäumen auf jeder Seite lauerten ihm einige Jungen der nächsthöheren Klasse auf, mit deren Anführer er schon auf dem Schulhof aneinandergeraten war. Sie hatten alle, wie er selbst, diesen schleppenden Akzent im rheinischen Singsang, der sich besonders dafür eignete, eine Frechheit auf die andere zu türmen. Einem dieser Älteren hatte er auf dem Schulhof gesagt, was für ein Blödmann er sei, jetzt folgte die Rache. Zwei von ihnen hielten ihn fest und drückten ihm mit Wut und Gelächter eine Ladung Pferdekot ins Gesicht. Davon gab es genug auf der Chaussee, wo täglich die schweren Brauereigäule mit ihren von Bierfässern beladenen Wagen entlangfuhren. Zu seinem Glück hatte das warme Wetter des Sommers 1941 die Pferdeäpfel so getrocknet, dass nur eine geringe Menge des weichen Inneren an seinem Gesicht hängenblieb.
    Das genügte allerdings, den Großvater sehr ärgerlich werden zu lassen – nicht gegen seine Feinde, sondern gegen ihn. Es kam zu einer der letzten Bestrafungen mit der Folge, dass er seine Freunde auf der Straße einige Tage nicht sehen durfte. Kurz darauf aber geschah etwas, das ihn dem Großvater für immer, was er auch anstellte, besonders gewogen machte. Der Junge ging zur Zeit des Hochamts besonders gerne in die Pfarrkirche, die den Namen der Heiligen Drei Könige trug. Dort gab es funkelnde, geheimnisvolle Farben in allen Schattierungen: der Tabernakel in seinem gleißenden Gold, die roten Teppiche zu den Altarstufen, der gelblich-weiße Talg der großen und kleinen Kerzen, das gedunkelte Metall der Weihrauchkessel. Und die Gewänder des Priesters und der Messdiener! Ihre Farben waren offensichtlich von besonderer Bedeutung. Am stärksten kam ihm dies am letzten Karfreitag seines Aufenthalts im großelterlichen Haus zu Bewusstsein: als in der Kirche das düstere Violett und Schwarz der Kartage zum strahlenden Weiß und Rot des Ostermorgens wechselte. Wie beneidete er die Messdiener! Dann, wenn sie in ihren feinen seidenen weißen Hemden über dem Scharlachrot des Leibrocks die Ärmel über die Hände fallen ließen und sie dann mit einer energischen Geste hochwarfen, um die Schelle zur heiligen Wandlung zu läuten oder das Weihrauchfass zu schwenken. Und wie gerne wäre er einer von ihnen, wenn sie den Hochaltarbereich verließen, um die Kollekte zu machen. Wie Engel sahen sie aus, wenn sie auf der Seite der Frauen und Mädchen Reih um Reih stehenblieben und den Geldkorb umgehen ließen: Lange dachte er darüber nach, wie er an dieser Verwandlung teilnehmen könnte.
    Dem Pfarrer war er während der Kinderandacht nach der Hochmesse aufgefallen. Die Kinder sollten eigene Antworten auf manchen seltsamen Vorgang des Neuen Testaments geben. Zum Beispiel, was das Jesuskind bei diesem oder jenem Ereignis gedacht habe. Das war eine gewiss einschüchternde Frage, bei der fast alle Kinder schwiegen. Nur seine Hand flog dann immer hoch, und einer staunenden Zuhörerschaft erzählte er in allen Einzelheiten, was das Jesuskind gedacht hatte. Des Herrn Pastors Miene strahlte wohlgefällig über der jungen Gemeinde. Eines Tages erschien er bei den Großeltern mit der frohen Botschaft, es sei die Zeit gekommen, dass der Enkel Messdiener würde, zumal er ja auch bald die
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