Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Granatsplitter

Granatsplitter

Titel: Granatsplitter
Autoren: K Bohrer
Vom Netzwerk:
andere Name war Evelyn Waugh. Sein soeben erschienenes Buch hieß Men and Arms . Was er aus dem Spectator erfuhr, war, dass dieser Waugh ein sarkastischer Kommentator zu allem war, das sich »modern« nannte. Auch die Nazis und die Kommunisten galten ihm vor allem als das hässliche Gesicht von allem Modernen. Außerdem stieß er auf den Namen Kingsley Amis, dessen Gedichtband A Frame of Mind eine starke Begabung ankündigte, man wartete auf den ersten Roman, Lucky Jim , den einige schon als neue Prosa anpriesen. Unter den Zeitgenossen von Evelyn Waugh kannte er eigentlich nur Graham Greene aus dem Bücherschrank der Mutter. Zum Beispiel Das Ende einer Affäre . Greenes Romane hatten eigentlich auch nichts mit der Moderne zu tun, von der ihm Conollys Aufsatz eine Idee gegeben hatte. Am nächsten Tag ging er in das alte Antiquariat an der Charing Cross Road, um dort eine der beiden Zeitschriften zu kaufen, aber es gab sie dort nicht. Er kaufte aber ein Buch von Cyril Connolly mit dem vielversprechenden Titel Enemies of Promise . Dieses Buch war zuerst 1938 veröffentlicht worden, also unmittelbar vor dem Krieg. Er würde das erst wirklich verstehen, wenn er besser Englisch könnte. Dennoch begriff er beim ersten Kapitel »The next ten years« noch besser, welch ein explosiver Geist dieser Conolly war, einer, für den Ausdruck alles bedeutete, moderner Ausdruck! Es fiel ihm auch auf, dass unter den Namen von Schriftstellern, die Conolly erwähnte, kein einziger deutscher war. Gab es keine, abgesehen von denen, die emigriert waren? Oder kannte Connolly keine deutsche Literatur?
    Auf seinem Weg in das Geschäft, wo er den Horizon finden würde, kam er an dem Theater vorbei, zu dem ihn vor zwei Wochen irrtümlicherweise der Taxifahrer gebracht hatte: Aldwych. Und dort entdeckte er, dass am gleichen Abend die Aufführung von Shakespeares Anthony and Cleopatra stattfinden würde. Shakespeare! Eine seiner berühmtesten Tragödien! Es gab kein Zögern. Er musste sich sofort eine Karte besorgen. In einer Stunde würde die Kasse aufgemacht. Beim Warten an einem der Tische, wo man Tee trinken konnte, sprach ihn plötzlich eine sehr sympathisch aussehende, jung wirkende Frau an, die etwa zehn bis fünfzehn Jahre älter sein musste als er. Sie wartete auch und hatte mitgekriegt, wie er sich nur schwer verständlich machen konnte. Es war eine deutsche Jüdin, die als junges Mädchen lange vor dem Krieg von Berlin nach England gekommen war. Obwohl sie ihn überhaupt nicht kannte, sprach sie sofort deutsch. Sie sprachen bald über England und die Engländer. Sie vertraute ihm an, dass sie sich manchmal geistig einsam fühle, weil man mit den Engländern nicht so reden könne, wie sie selbst gerne reden würde. Er erzählte ihr von seinen Gastgebern, wie freundschaftlich sie ihn behandelten. Das sei eine glückliche Ausnahme, erwiderte sie und meinte ganz offen, das hätte auch etwas damit zu tun, dass seine neuen Freunde zwei Männer seien, die zusammenlebten. Zwei zusammenlebende Männer wären kein Problem. Dafür sei die englische Gesellschaft zu diskret und zu pragmatisch. Auch zu liberal. Er habe großes Glück, von solchen Freunden in London eingeführt worden zu sein.
    Sie erzählte ihm auch, dass die berühmte Peggy Ashcroft die Darstellerin der Cleopatra sei. Da sie schließlich nebeneinanderliegende Plätze bekamen, sahen sie das Stück gemeinsam und konnten in der Pause darüber reden. Nach dem Hamlet mit Richard Burton war das seine zweite Shakespeareaufführung. Der theatralische Eindruck des Zuschauerraums versetzte ihn in eine ungeheure Erwartung, sodass er auf die erklärenden Sätze der Nachbarin kaum achtete. Und wieder war es der dunkelrote Vorhang, der ihn ganz gefangen nahm. Elektrisierender konnte es nicht sein. Den Augenblick, als Cleopatra den toten Antonius mit einem großen Seil zu sich emporziehen lässt und in ihre Klage ausbricht, nahm das Publikum wie eine Erscheinung höherer Art. Nach der Aufführung verabschiedeten sie sich voneinander und tauschten noch die Namen. Sie hieß Louise Cohn. Sie war eine große Theatergängerin. Vielleicht würden sie sich ja noch einmal sehen?
    Und schließlich gab es die Party mit Laurence Olivier, der Abschied von London. Eine innere Anspannung, den seit seinem zwölften Lebensjahr bewunderten, so absolut englischen Schauspieler leibhaftig zu sehen, nahm Besitz von ihm. In den oberen Räumen von Drayton Gardens drängten sich immer mehr Gäste. Guy und Julian stellten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher