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Gralszauber

Titel: Gralszauber
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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lassen, wenn er es wollte, und
es stand ihm nicht zu, nach dem Warum zu fragen.
    Er wartete eine weitere halbe Stunde, dann gab er auf
und ging die Treppe wieder nach oben.
Auf halbem Weg kam ihm Gwinneth entgegen.
Dulac war so überrascht, dass er mitten im Schritt innehielt – und auch ein wenig erschrocken. Es war ihm bisher
gelungen, jeden Gedanken an Gwinneth, der mehr als
oberflächlich gewesen wäre, von sich fern zu halten, aber
nun, als sie ihm entgegenkam und er in ihr Gesicht blickte,
war das nicht mehr möglich.
Sein Herz begann zu klopfen. Obwohl er mitten im
Schritt buchstäblich zur Salzsäule erstarrt war, hatte er
trotzdem das Gefühl, innerlich zu zittern, und seine Handflächen fühlten sich feucht und kalt an. So absurd ihm der
Gedanke im ersten Moment auch selbst vorkam – Tatsache war, dass er Angst vor dem Moment hatte, in dem er
allein mit ihr war.
Dulac hatte zwar das Gefühl, dass nicht nur sein Körper,
sondern auch sein Gesicht zu Stein erstarrt wäre, aber so
ganz schien das nicht zu stimmen; Gwinneth jedenfalls
verharrte ebenfalls mitten im Schritt, als sie noch zwei
oder drei Stufen über ihm stand, und in das freundliche
Lächeln auf ihrem Gesicht mischte sich ein Ausdruck leiser Verwunderung. Sie legte den Kopf auf die Seite, um
ihn nachdenklich zu betrachten.
»Was ist los mit dir?«, fragte sie schließlich, anstelle
sich mit einer formellen Begrüßung oder auch nur mit
einem »Hallo« aufzuhalten. »Du siehst aus, als hättest du
ein Gespenst gesehen. Bin ich über Nacht hässlich geworden?«
»Nein!«, versicherte Dulac hastig. »Ganz im Gegenteil,
Mylady! Entschuldigt! Ihr … Ihr seid schöner denn je!«
»Ich verstehe.« Zwischen Gwinneths Augenbrauen entstand eine schmale Falte. »Bis gestern war ich hässlich.«
»Nein, das … das habe ich nicht …« Dulac geriet endgültig ins Stottern, brach verwirrt ab und fühlte sich durch
und durch hilflos. Ihm war klar, dass Gwinneth ihn foppen
wollte, aber ihm war wahrlich nicht nach Scherzen zumute. Er wäre am liebsten im Boden versunken, wenn auch
aus ganz anderen Gründen, als Gwinneth annehmen mochte.
Als sie begriff, dass sie keine Antwort bekommen würde, kam Gwinneth zwei weitere Stufen die Treppe hinunter und nickte gewichtig. »Ich verstehe«, sagte sie. »Du
hast jemand anderen erwartet.«
»Ja, Mylady«, antwortete Dulac mit gesenktem Blick.
»Den … den König.«
»Gwinneth«, erinnerte Gwinneth sanft. »Wir waren
schon bei Gwinneth, wenn ich mich nicht irre.«
»Wie Ihr befehlt, My…«, begann Dulac, fuhr fast unmerklich zusammen und verbesserte sich dann hastig:
»Gwinneth.«
»Nein, ich befehle gar nichts«, seufzte Gwinneth. »Ich
würde mich freuen, wenn du es tätest.«
»Wenn es Euer Wunsch ist.«
Gwinneth seufzte noch tiefer. »Das war eigentlich auch
nicht unbedingt das, was ich gemeint habe«, sagte sie in
resignierendem Tonfall. »Aber gut. Artus hat mich geschickt. Er lässt dir ausrichten, dass er nicht kommen
kann. Du sollst nicht länger auf ihn warten, sondern schon
einmal mit den Vorbereitungen für heute Abend beginnen
… was immer du auch vorzubereiten hast.«
Dulac ignorierte die Frage, die sich hinter diesem Satz
verbarg, und nickte nur stumm. Er wollte nicht mit Gwinneth reden. Er durfte es nicht. Irgendetwas sagte ihm, dass
es ein schrecklicher Fehler wäre, sein Schweigen zu brechen.
Wenn er einmal anfing zu reden, dann würde er sich
möglicherweise nicht mehr beherrschen können und etwas
sehr Dummes sagen, zumindest aber etwas, das er im
nächsten Augenblick zutiefst bedauern würde.
»Hast du deine Zunge verschluckt?«, erkundigte sich
Gwinneth.
»Nein, Mylady«, antwortete Dulac. »Verzeiht.«
»Gwinneth.« Gwinneth drohte ihm spielerisch mit dem
erhobenen Finger. »Wenn du mich noch einmal Mylady nennst, lasse ich dich auspeitschen.«
Dulac sah erschrocken hoch und für einen Moment sah
auch Gwinneth regelrecht erschrocken drein, als wäre ihr
das, was sie sagte, erst in diesem Moment selbst klar geworden.
Dann rettete sie sich in ein leicht verlegenes Lächeln.
»Das war nur ein Scherz«, sagte sie.
Natürlich war es das. Dulac hatte ihre Worte nicht für
den Bruchteil eines Augenblicks ernst genommen. Und
dennoch … sie taten weh.
»Es tut mir Leid«, sagte Gwinneth, nachdem einige weitere Sekunden in unbehaglichem Schweigen verstrichen
waren. »Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Das habt Ihr auch nicht«, versicherte Dulac hastig.
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