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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy
Autoren: Theodor Fontane
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kleinen Herzen, wenn die berühmte Stelle von dem ›süßen Deingedenken‹ kommt, am meisten aber, wenn sie zum Schluß erfährt, daß dies süße Deingedenken auch ein ›stilles Nachtgebet‹ gewesen sei.«
    Feßler lächelte vor sich hin, und auch die Gräfin, die nach Art aller vornehmen alten Damen eine Vorliebe für kleine Gewagtheiten hatte, war ganz enchantiert und nickte dem Bruder zu.
    »Wohl, ich kannt ihn also«, nahm Franziska wieder das Wort. »Aber speziell
das
Gedicht, das an jenem Tage deklamiert wurde, das kannt ich nicht, und als es zu Ende war, war ich so hingerissen, daß ich auf die Mitschülerin zustürzte und sie umarmte und küßte, was mir beiläufig einen nachträglichen Verweis zuzog.«
    »Und wie hieß es?«
    »Ich weiß es nicht mehr sicher, aber ich glaube fast, es hieß ›Nach Süden‹. Und vielleicht erkennen Sie's, wenn ich Ihnen den Inhalt in aller Kürze skizziere.«
    »Wir bitten darum.«
    »Es leitet sich mit einer Gewitterschilderung ein, und die halb schon wieder von Licht durchglühten Wolken ziehen südwärts auf Ungarn zu. Der Dichter selbst aber folgt dem Zuge dieser Wolken und begleitet ihr Südwärtsziehen mit dem sehnsuchtsvollen Ausrufe: ›Ja, nach Süden steht mein Herz!‹«
    »Und nun?«
    »Und nun, auf dem dunklen Hintergrunde der Wolken, erwächst ihm fatamorganaartig ein Heimatsbild: ein Waldtal und ein Mühlbach, und an dem rauschenden Mühlbach erblickt er die Geliebte, die, sein eigenes Sehnsuchtsgefühl erwidernd, in Verlangen nach ihm aussieht und Wind und Wellen um ihn befragt. Aber Wind und Wellen ziehen weiter und weigern ihr die Antwort, und das Lied selbst verklingt in der wunderbaren Strophe:
     
    Dunkler wird der Tag und trüber,
    Lauter wird der Lüfte Streit –
    Hörbar rauscht die Zeit vorüber
    An des Mädchens Einsamkeit

     
    »Ah, das ist schön«, sagte der alte Graf, »und ich klage mich an, es nicht gekannt zu haben. Er war ein Freund unseres Hauses und speziell das enfant gâté meiner Mutter, die sich, wenn das Gespräch auf ihn kam, jedesmal ihres ganzen Albionstolzes entschlug, womit sie sonst stärker, allerdings auch berechtigter als Lady Milford umgürtet war, und nicht müde wurde, zu versichern, ›daß sie die ganze großbritannische Lyrik um eines einzigen Lenauschen Gedichtes willen hingebe‹. Ja, Feßler, das war unser altes Wien, an das ich doch oft mit herzlicher Freude zurückdenke. Da wurde noch vieles verziehen, was jetzt unverzeihlich dünkt, und beispielsweise mit dem lieben Gott auf dem Kriegsfuß zu stehen galt noch einfach für interessant. Auch unser guter Lenau verstand sich darauf, aber es war au fond nicht böse gemeint, und aller atheistischen Rodomontaden unerachtet, spukte doch eigentlich das Kirchliche darin vor. Er kam nur nicht voll damit zurecht und starb zu früh. Und zudem der verdammte Poetenehrgeiz! Unter allen Umständen aber sind wir ihm zu Dank verpflichtet, uns das auf dem Wege zwischen Stuhlweißenburg und Debreczin fast schon verlorengegangene Herz unserer lieben Freundin in einer zweiten ungrischen Epoche zurückerobert zu haben. In einer zweiten ungrischen Epoche, nach der wir hoffentlich sehr bald eine noch schönere dritte zu verzeichnen haben werden.«
    »Ich glaube, daß sie für mich bereits begonnen hat.«
    Eine kleine Stutzuhr schlug eben zehn, und die junge Schauspielerin erhob sich. Egon bat, sie begleiten zu dürfen. Sie nahm das Anerbieten an ganz nach Art einer Dame, die solcher Huldigungen und Dienste gewöhnt ist, und verabschiedete sich, wie sie gekommen, mit einem Handkuß bei der Gräfin, während sie sich gegen Feßler verneigte.
    Der alte Graf aber geleitete sie bis in das Vorzimmer und half ihr hier sich in ein Spitzentuch hüllen, das sie kleidsam um Kopf und Hals trug. Dann in den Salon der Schwester zurückkehrend, ließ er sich in einen Fauteuil in aller Bequemlichkeit nieder und sagte: »Nun, Judith, wie findest du sie?«
    »Charmant.«
    »Und?«
    »Und pointiert.«
    »Und?«
    »Ich weiß nicht weiter zu sagen. Aber fragen wir Feßler.«
    »Und klug«, fügte dieser hinzu, während er wie zerstreut mit einer an der Tischdecke herabhängenden Seidenpuschel spielte. »Wir werden allerhand von ihr lernen können.«
    »Lernen! Ein Liguorianerpater und lernen! Und da spricht man noch von dem Hochmut der Kirche.«
     
    Es hatte mittlerweile geschneit, und ein paar Hausdiener fegten eben den Schnee beiseite. Egon reichte Franziska den Arm, war aber ersichtlich in
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