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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy
Autoren: Theodor Fontane
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preußische Verheißung mit dem Alten Fritzen als Gott oder wenigstens als Nationalheiligen. Ich habe viel gegen sie zu sagen und nehme sie, wie sich von selbst versteht, als unsere geschworenen und allerechtesten Feinde, zugleich aber doch als solche, denen gegenüber mir das sonst so schwierige ›Liebet eure Feinde‹ nie sonderlich schwer geworden ist. Sie haben etwas Anregendes und überhaupt manches vor uns voraus. Und darunter sogar Großes.«
    »Und das wäre?«
    »Beispielsweise die Freiheit. Nicht die politische, die nicht viel, und auch nicht die soziale, die noch weniger bedeutet, aber die innerliche. Sie prüfen die Dinge, sind kritisch und leben selbständig aus sich heraus. Und das ist ein Heilsweg; ja, lassen Sie mich hinzusetzen: unter richtiger Voraussetzung der einzige Weg, der zum Heile führt.«
    Die Gräfin sah ihn verwundert an, Feßler aber fuhr fort: »Sie sind überrascht, gnädigste Gräfin, und doch bin ich Ihrer schließlichen Zustimmung sicher. Es gibt eine höchste Lebensform, und diese höchste Lebensform heißt: ›in Freiheit zu dienen‹. Das Dienen aus bloßem Zwang heraus ist tot, und erst aus einem selbstgewollten, weil als unerläßlich erkannten Verzicht auf die Freiheit erblüht uns der echte, welterlösende Glauben. Aber um auf die Freiheit verzichten zu können, dazu muß man sie vorher haben. Sie haben ist das Erste, sich ihrer begeben das Zweite. Den ersten Schritt hat der Protestantismus getan. Vermag er auch den zweiten Schritt zu tun, den Schritt zu Rückkehr und freiwilliger Unterordnung unter das Gesetz, so haben wir in ihm das Ideal. In hoc signo vinces. Da liegt die Zukunft, das Geheimnis einer höher potenzierten Welt.«
    Als die Gräfin eben antworten wollte, wurde der als Portière dienende Teppich zurückgeschlagen, und die junge Dame, die zu diesem Gespräche wenigstens mittelbar die Veranlassung gegeben hatte, trat ein und schritt rasch und mit einem leisen Anfluge von Verlegenheit auf die Gräfin zu. Diese hatte sich erhoben und bot ihr die Hand, die die junge Schauspielerin mit Devotion küßte. Dann verneigte sie sich gegen den Geistlichen, der sich mit erhoben hatte, während die Gräfin vorstellte: »Pater Feßler – Fräulein Franziska Franz.
    Ich erwarte seit einer halben Stunde schon meinen Bruder, den Grafen«, fuhr die Gräfin fort, während sie die junge Dame neben sich einlud. »Er ist sonst die Pünktlichkeit selbst. Bis zu seinem Erscheinen, liebes Fräulein, werden wir uns also mit Pater Feßler einzurichten haben. Glücklicherweise sind Sie lange genug in Wien, um zu wissen, daß die Jesuiten, um das Schrecklichste vorwegzunehmen, aller Schrecklichkeit unerachtet, doch sehr umgängliche Leute sind. Und die Liguorianer eifern ihnen wenigstens nach. Nicht wahr, Pater Feßler?«
    Dieser lächelte, während Franziska nicht zögerte, das Wort »umgänglich«, das ihr sehr apropos ausgesprochen worden war, geschickt aufzugreifen, um nun ihrerseits daran anknüpfend die »Tugend der Umgänglichkeit« als eine spezifisch wienerische zu preisen.
    »Ich hör es gern«, erwiderte die Gräfin, »daß Ihnen unser Wien gefällt. Es ist nicht immer so. Das norddeutsche Wesen ist doch sehr anders.«
    »Sehr anders«, wiederholte die junge Schauspielerin. »Gewiß. Aber vielleicht liegt gerade hierin der Grund, daß sich das Norddeutsche zu dem Wienerischen hingezogen fühlt, denn das Wienerische hat neben dem Vorzuge der Umgänglichkeit auch noch andere Vorzüge, die das in den Schatten stellen, was gelegentlich mit zu viel Güte gegen uns als unsere besondere Tugend betrachtet wird. Wir empfinden tief das Unausreichende des bloß Angelernten. Eine Sehnsucht nach dem Einfacheren, Natürlicheren regt sich beständig in uns, und diese Sehnsucht ist vielleicht unser Bestes.«
    Ein freundlicher Blick Feßlers, der mit feinem Ohre heraushörte, daß all das, wenn nicht selbständig gedacht und gefühlt, so doch wenigstens aufrichtig nachempfunden war, streifte die Künstlerin, die, nunmehr ihrerseits durch diesen Blick ermutigt, in ihrem Thema fortfuhr:
    »Und diese sich in gefällige Formen kleidende Natürlichkeit, die Wien so zweifellos vor uns voraushat, woher kommt sie? Wenn mich nicht alles täuscht, so spricht die Kirche dabei mit, die ja von alten Zeiten her die Formen des Lebens bestimmte, die Kirche samt den Dienern der Kirche. Pater Feßler wolle mir nach einer nur nach Minuten zählenden Bekanntschaft eine solche Liebeserklärung in Überfallsform
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