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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy
Autoren: Theodor Fontane
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Sorge.«
    »Wie das?«
    »Ich bange mich vor der Rolle.«
    »Dann freilich sind Sie verloren. Denn Sie werden dann das nicht treffen, was in dieser Rolle das meiste bedeutet: das
Nationale
. Sich fürchten ist das Unungrischste von der Welt. Aber Sie werden sich nicht fürchten, und wenn Ihnen doch vielleicht ein paar Anwandlungen kommen, so wird der Elan Ihres Talents groß genug sein, Ihr Temperament zu zwingen und siegreich mit fortzureißen. Oh, daß Sie Magyarin wären!«
    »Ungefähr das Schmeichelhafteste, mein liebes Fräulein«, unterbrach hier lächelnd die Gräfin, »das Ihnen im Hause Petöfy gesagt werden kann. Denn mein Bruder erklärt Sie damit auf halbem Wege für würdig, eine Magyarin zu sein, er würde sonst die Tatsache, daß Sie's
nicht
sind, nicht so lebhaft beklagen. Und dabei sind Sie mutmaßlich ohne jede Vorstellung von dem Vollgewicht einer solchen Ehrenbezeugung und kennen überhaupt nichts von Ungarn als den Attila unserer Husaren.«
    »O doch, doch; das Fräulein kennt und weiß mehr, viel mehr, und sie soll uns selber sagen,
was
sie von Ungarn weiß.«
    »Es ist nicht viel und wohl eigentlich zuwenig, wenn ich bedenke, daß ich nun schon ins dritte Jahr eine Wienerin bin, und außerdem hinzurechne, daß Wien, ich möchte sagen, die Vorhalle von Ungarn ist, die Tempelstufe.«
    Der Liguorianer, ein ausgesprochener Steirer, freute sich des kleinen Spottes und Egon kaum minder. Der alte Graf aber gab sich das Ansehen, als nähme er's ernsthaft, und sagte: »Vorhalle, Tempelstufe; davon dürfen unsere Wiener nichts hören, die sich das Herz der Welt bedünken. Im übrigen schuldet uns das Fräulein immer noch ihren Bericht über Ungarn, und ich kann ihr ein Examen rigorosum auf diesen Punkt hin nicht ersparen, schon weil ich recht behalten möchte.«
    »Nun, ich gebe gern, was ich weiß«, entgegnete das Fräulein, »und ich unterscheide deutlich zwei Grade der Erkenntnis: einen romantischen und einen lyrischen. Das sind freilich keine rechten Unterscheidungen, denn die Romantik kann lyrisch und die Lyrik kann romantisch sein; aber ich bitte nichtsdestoweniger, es gelten zu lassen.«
    »O gewiß«, sagte die Gräfin. »Also das Romantische.«
    »Ja, damit fing es an. Es war, als ich noch ein Kind war und auf unserem Kirchplatze, gerade vor unserer Tür, alljährlich zweimal die Jahrmarktsbuden standen: Buden mit Naschwerk und Pfefferkuchen und dazwischen allerlei Bänkelsänger und Leiermänner. Und immer wo solch ein Leiermann stand, stand auch eine buntbemalte Leinewand, auf der eine Geschichte, meist in zwölf Bilderfeldern, abgebildet war. Auf dem ersten Bilde lag die Welt allemal in bürgerlichem Frieden, und eine junge Mutter beugte sich über ein Wiegenkind; auf einem der Mittelbilder trat dann in gebotener dramatischer Steigerung ein schwarzer, bärtiger Mann aus einem Waldesdunkel hervor und an die junge, zufällig des Weges kommende Mutter heran, während auf dem zwölften und letzten Bilde Mal für Mal ein Gerüst aufgeschlagen war mit einem niedrigen Stuhl darauf, und auf eben diesem Stuhle saß der bärtige Mann aus dem Waldesdunkel. Aber jetzt mit verbundenen Augen und einem Rotmantel mit dem Schwerte hinter sich. Und wenn ich dann dem Liede, das dazu gesungen wurde, begierig und angstvoll zuhörte, so vernahm ich jedesmal, das sei geschehen im schönen Ungarlande zwischen Stuhlweißenburg und Debreczin, und ich darf wohl sagen, ich kenne bis diese Stunde keine Stadt und keinen Namen, die mir so mit Schreck und Grusel imprägniert erschienen wie diese beiden.«
    »Ei, das beklag ich, meine Gnädigste«, sagte der Graf. »Da wird unser altes Schloß Arpa darauf verzichten müssen, Sie je in seinen Mauern zu sehen, denn Stuhlweißenburg ist unsere nächste große Stadt.«
    »Oh, ich hab es auch überwunden. Und Ungarn selbst hat es mich überwinden gelehrt.«
    »Mit Hülfe der zweiten Epoche?«
    »Ja, die gnädigste Gräfin erraten es; mit Hülfe der zweiten Epoche. Da war ich in einer Pension. Aber ich war schon fast erwachsen und in Vorbereitung auf das, was aus mir werden sollte. Da hatten wir von Zeit zu Zeit auch Deklamierübungen, und bei solcher Gelegenheit war es, daß eine Mitschülerin von mir ein Lied von Lenau vortrug.«
    »Ah, von Niembsch!«
    »Ich kannte Lenau schon. Er ist überhaupt sehr beliebt in Norddeutschland, und den ›Teich, den regungslosen‹, in den der Mond seine ›bleichen Rosen‹ flicht, kennt jedes dreizehnjährige Mädchen und jubelt in ihrem
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