Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grablichter - Almstädt, E: Grablichter

Grablichter - Almstädt, E: Grablichter

Titel: Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
Autoren: Eva Almstädt
Vom Netzwerk:
ruhig durchzuatmen, um ihre Aufregung in den Griff zu bekommen.
    Im Innern der Holzwerkstatt war alles ruhig. Broders hämmerte gegen die Werkstatttür und wartete. Er sah Pia fragend an, zuckte mit den Schultern und hob die Faust, um erneut zu klopfen. Pia streckte die Hand nach der Türklinke aus und drückte sie hinunter. Die Tür schwang auf.
    Ihre Blicke trafen sich. Die Situation ähnelte einem Einsatztraining, allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass sie dieses Mal nicht unbedingt die Chance bekommen würden, aus ihren Fehlern zu lernen. Jede Fehlhandlung konnte sich als verhängnisvoll erweisen. Mit gezogenen Waffen betraten sie nacheinander die dunkle Werkstatt. Pia fand den Lichtschalter links neben der Tür. Die nur widerwillig anspringende Neonröhre leuchtete fahl über Maschinen, Holzbretter und Sägespäne.
    »Herr Burmeister, sind Sie da?« Pias Ruf hallte hohl durch den schmucklosen Raum. Die Maschinen waren allesamt ausgeschaltet und mit einer feinen Staubschicht bedeckt. Burmeisters Ohrenschützer und sein grauer Arbeitskittel hingen an ein paar Nägeln neben der Tür. Hier war niemand.
    »Komm weiter«, sagte Pia und deutete mit dem Kopf zu der Tür, die ins Sarglager führte. Sie verabscheute diesen Raum,auch wenn er nichts anderes enthielt als Holz, Pressspanplatten und weißen Satin – dachte sie.
    Als sie die Tür öffnete, schlugen ihr die Lösungsmitteldämpfe der Spanplatten und der Geruch von Furnierhölzern entgegen. In der Dunkelheit registrierte ihr Gehirn noch etwas anderes, das sofort Alarm in ihr auslöste. »Warte!«, sagte sie leise zu Broders. Sie ging ein paar Schritte hinein und sah vor sich im Lichtkegel der Taschenlampe die ordentlich aufgereihten Särge stehen. Nach dem Anbau, aus dem sie gerade kamen, wirkte der hohe Raum im Haupthaus, in dem sich die Sargausstellung befand, fast wie ein Kirchenschiff.
    Pias Herz klopfte fast schmerzhaft gegen ihre Rippen, und plötzlich wusste sie, wonach es roch: nach Urin und Exkrementen. Die Tür hinter ihr schwang ganz auf und ließ mehr Licht hinein. Pia hörte Broders hinter sich aufstöhnen, und dann sah sie auch, was er gesehen hatte: Rechts hing ein Körper von der Decke, die Füße befanden sich auf Hüfthöhe. Der Lichtstrahl von Broders’ Taschenlampe wanderte langsam nach oben – Simon Burmeister hatte sich erhängt.
    »Schnell, vielleicht lebt er noch«, rief Pia. Ihr fiel plötzlich ein, dass sie die Rücklichter eines Autos in der Tiefen Trift hatte verschwinden sehen, und das war noch nicht lange her. Simon Burmeister konnte noch nicht lange dort oben hängen. Vielleicht nur ein paar Minuten, schließlich hatte er seinen Selbstmord ja vorbereiten müssen. Vielleicht war er auch erst gesprungen, als sie in die Holzwerkstatt gekommen waren. Sie kletterte auf einen auf Holzböcken liegenden Sarg, den Burmeister selbst als Podest genutzt haben musste, und versuchte, das Seil zu erreichen. Als sie das Seil berührte, begann der Körper zu pendeln und drehte sich mit dem Gesicht zu ihr. Der Strahl der Taschenlampe beleuchtete Burmeisters Gesicht wie auf einer Theaterbühne. Pia wurde spontan an eine blutige Shakespeare-Inszenierungerinnert, die sie einmal gesehen hatte. Sparsames Bühnenbild, Licht von unten und dramatische Effekte.
    Sie nahm nun jede Einzelheit wahr: Simon Burmeisters Hals war grotesk überdehnt, und seine Zunge quoll blaurot aus seinem Mund, die Augen waren aus den Höhlen getreten. Unbewusst fasste sie an ihre längst verheilte Narbe.
    »Komm wieder runter, es ist definitiv zu spät«, sagte Broders rau. Zweifelsohne hatte er recht.
    Noch bevor Pia wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stand, hatten weitere Personen den Raum betreten.
    »Ich hatte irgendwie schon befürchtet, dass es noch ganz dicke kommt«, sagte Gabler, der mit Gerlach durch das Haupthaus gekommen sein musste. »Wir können hier nichts weiter ausrichten. Korittki und Gerlach, Sie fahren jetzt zurück nach Lübeck. Ich habe genug Leute hier, um den Rest zu organisieren. Broders, Sie bleiben erst mal hier. Und was Frau Burmeister betrifft, sie ist nicht zu Hause. Aber das ist jetzt zweitrangig. Die traurige Nachricht wird sie wohl früh genug erhalten, nicht wahr?«
    »Nein. Wir müssen Marion Burmeister sofort suchen.«
    »Es ist vorbei, Pia. Simon Burmeister hat sich erhängt, und das bestimmt aus gutem Grund. Es kommt einem Schuldbekenntnis gleich. Er wusste, dass wir herkommen würden. Vielleicht hat er euer Gespräch mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher