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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer
Autoren: Tess Gerritsen
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allen Richtungen mit Röntgenstrahlen beschossen und einer massiven Strahlungsdosis ausgesetzt, plagten diese Patientin weder Angst vor Krebs noch Sorgen wegen Nebenwirkungen.
    Wohl kaum eine lebende Patientin hätte das Röntgenbombardement so geduldig über sich ergehen lassen.
    Robinson war sichtlich erschüttert von den Bildern, die sie gesehen hatten – er beugte sich angespannt vor und hielt konzentriert Ausschau nach der nächsten Überraschung. Die ersten Thorax-Querschnitte erschienen und ließen die schwarze, leere Brusthöhle erkennen.
    « Offenbar wurde die Lunge entfernt«, bemerkte der Radiologe. »Alles, was ich sehen kann, ist ein verschrumpelter Fetzen vom Mittelfell im Brustraum.«
    »Das ist das Herz«, korrigierte Pulcillo, deren Stimme wieder fester klang. Das hier war nun wieder etwas, womit sie gerechnet hatte. »Man hat immer versucht, es an Ort und Stelle zu belassen.«
    »Nur das Herz?«
    Sie nickte. »Es galt als Sitz des Verstandes, weshalb man es nie vom restlichen Körper trennte. Im Ägyptischen Totenbuch gibt es allein drei verschiedene Zaubersprüche, die dafür sorgen sollen, dass das Herz an seinem Platz bleibt.«
    »Und die anderen Organe?«, fragte der CT-Assistent. »Ich habe gehört, dass die in spezielle Krüge gelegt wurden.«
    »Das war vor der 21. Dynastie. Etwa von tausend vor Christus an wurden die Organe in vier Bündel gepackt und wieder in den Leichnam gelegt.«
    »Das müssten wir also hier sehen können.«
    »Wenn es sich um eine Mumie aus der Ptolemäerzeit handelt, ja.«
    »Ich glaube, ich kann eine begründete Vermutung wagen, was ihr Alter zum Zeitpunkt des Todes betrifft«, sagte der Radiologe. »Die Weisheitszähne sind vollständig durchgebrochen, und die Schädelnähte sind geschlossen. Aber ich sehe keine degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule.«
    »Eine junge Erwachsene«, sagte Maura. »Wahrscheinlich unter fünfunddreißig.«
    »In der Zeit, in der sie lebte, war fünfunddreißig schon ein sehr reifes Alter«, meinte Robinson.
    Das CT war jetzt unterhalb des Brustkorbs angelangt, und die Röntgenstrahlen, die durch die Leinenbinden, durch die ausgetrocknete Hülle von Haut und Knochen drangen, machten die Bauchhöhle sichtbar. Was Maura darin erblickte, war ihr auf unheimliche Weise fremd; es kam ihr vor, als wohnte sie der Obduktion eines Aliens bei. Wo sie Leber und Milz, Magen und Bauchspeicheldrüse erwartet hätte, sah sie stattdessen ineinander verschlungene Leinenstreifen; eine innere Landschaft, der alle normalen Orientierungspunkte fehlten. Nur die hellen Wülste der Wirbelknochen verrieten ihr, dass es sich um einen menschlichen Körper handelte, einen Körper, den man bis auf die äußere Hülle ausgeweidet und anschließend wie eine Stoffpuppe ausgestopft hatte.
    Die Anatomie einer Mumie mochte für Maura Neuland sein, doch sowohl Robinson als auch Pulcillo waren hier in ihrem Element. Während immer neue Bilder auftauchten, beugten sie sich vor und wiesen die anderen auf die Details hin, die sie erkannten.
    »Da«, sagte Robinson. »Das sind die vier Leinenpäckchen mit den Organen«
    »Okay, wir haben jetzt das Becken erreicht«, sagte Dr. Brier. Er deutete auf zwei bleiche Bögen – die oberen Ränder des Beckenkamms.
    Scheibe für Scheibe nahm das Becken Gestalt an, während der Computer die zahllosen Röntgenaufnahmen zusammentrug und wiedergab. Es war wie ein digitaler Striptease, und jedes neue Bild bot aufregende neue Einblicke.
    »Sehen Sie sich die Form des Beckeneingangs an«, sagte Dr. Brier.
    »Es ist eine Frau«, stellte Maura fest.
    Der Radiologe nickte. »Ich würde sagen, der Befund ist ziemlich eindeutig.« Er sah die bei den Archäologen an und grinste.
    »Sie können sie jetzt offiziell Madam X nennen.«
    »Und sehen Sie sich die Schambeinfuge an«, fuhr Maura fort, die immer noch den Monitor fixierte. »Sie ist nicht geöffnet.«
    Brier nickte. »Das sehe ich auch so.«
    »Was bedeutet das?«, fragte Robinson.
    Maura erklärte es ihm. »Wenn bei der Entbindung das Kind den Beckeneingang passiert, können die Knochen an der Symphyse, also dort, wo sie aufeinandertreffen, regelrecht auseinandergedrückt werden. Diese Frau hat anscheinend nie ein Kind geboren.«
    Der CT-Assistent lachte. »Höchstens ein Leinenbündel, wie?«
    Der Detektor war jetzt über das Becken hinaus weitergerückt, und sie sahen Querschnitte der beiden Oberschenkelknochen, umhüllt von den eingeschrumpften Beinmuskeln.
    »Nick, wir müssen
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