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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer
Autoren: Tess Gerritsen
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ihr erspart.«
     
    »Sie haben ihr Bradleys Tod all die Jahre verheimlicht?«
    »Als es passierte, war sie krank. So krank, dass ich dachte, sie würde den nächsten Monat nicht mehr erleben. Ich dachte mir, lass sie sterben, ohne dass sie es erfährt.«
    »Aber sie hat weitergelebt.«
    Er lachte matt. »Sie hatte eine Spontanremission. Es war eines dieser Wunder, mit denen niemand rechnet, und es hielt zwölf Jahre an. So musste ich die Lüge also aufrechterhalten. Ich musste Jimmy helfen, die Wahrheit zu vertuschen.«
    »Es war der Wangenabstrich Ihrer Frau, der zur Identifizierung der Leiche verwendet wurde. Die DNA Ihrer Frau, nicht die von Carrie Otto.«
    »Die Polizei musste davon überzeugt werden, dass der Tote Jimmy war.«
    »Jimmy Otto hätte hinter Gitter gehört. Sie haben einen Mörder geschützt.«
    »Ich habe Cynthia geschützt!«
    Er wollte sie vor dem Leid bewahren, das ich seiner Familie, wie er glaubt, vor zwölf Jahren angetan habe. Zwar bin ich überzeugt, dass die einzige Sünde, die ich begangen habe, die der Selbsterhaltung ist, doch ich gestehe ein, dass mit Bradleys Tod mehr als nur ein Leben zerstört wurde. Ich sehe das Werk der Zerstörung in Kimballs zermarterten Zügen. Es ist kein Wunder, dass er nach Rache dürstet; kein Wunder, dass er zwölf Jahre mit der unermüdlichen Suche nach mir verbracht hat und mich mit ebensolcher Besessenheit verfolgt hat, wie Jimmy Otto es getan hat.
    Immer noch hat er seine Pistole nicht aus der Hand gegeben, obwohl ein ganzes Kommando von Detectives die Waffen auf ihn gerichtet hat. Was dann passiert, kann niemanden der Anwesenden wirklich überraschen. Ich kann es in Kimballs Augen sehen, und Jane Rizzoli sieht es zweifellos auch. Das Eingeständnis des Scheiterns. Die Resignation. Ohne Vorwarnung und ohne Zögern schiebt er sich den Pistolenlauf in den Mund und drückt ab.
    Der Schuss kracht, und eine hellrote Blutfontäne spritzt an die Wand. Seine Beine knicken ein, und er sackt wie ein Stein zu Boden.
    Es ist nicht das erste Mal, dass ich einen Menschen sterben sehe. Ich sollte inzwischen immun gegen den Anblick sein.
    Doch als ich auf seinen zerschmetterten Schädel starre, auf das Blut, das aus der klaffenden Kopfwunde strömt und sich in einer Lache auf dem Boden des Schlafzimmers sammelt, habe ich plötzlich das Gefühl, dass mir etwas die Kehle zuschnürt.
    Ich reiße meine Bluse auf und zerre an der schusssicheren Weste, die ich auf Jane Rizzolis Drängen hin angelegt habe.
    Sie hat zwar die Kugel aufgehalten, doch von der Wucht des Einschlags tut mir immer noch alles weh. Es wird sicherlich ein großer Bluterguss zurückbleiben. Ich streife die Weste ab und werfe sie beiseite. Es ist mir egal, dass die vier Männer im Raum meinen BH sehen können. Ich reiße das Mikrofon und die Drähte ab, die auf meine Haut geklebt sind, eine Vorrichtung, die mir heute Abend das Leben gerettet hat. Wäre ich nicht verkabelt gewesen, hätten sie mein Gespräch mit Kimball nicht mithören können. Sie hätten nicht gewusst, dass er schon in meinem Haus war.
    Draußen hört man Sirenen heulen; sie kommen näher. Ich knöpfe meine Bluse wieder zu, stehe auf und versuche den Anblick von Kimball Roses Leiche zu meiden, während ich das Zimmer verlasse.
    Als ich aus dem Haus trete, ist die warme Abendluft von Funksprüchen und dem flackernden Blaulicht der Polizeifahrzeuge erfüllt. Im grellbunten Schein bin ich weithin zu sehen, doch ich weiche vor dem Licht nicht zurück. Zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert muss ich mich nicht im Schatten verkriechen.
    »Sind Sie okay?«
    Ich drehe den Kopf und sehe Detective Rizzoli neben mir stehen. »Mir fehlt nichts«, antworte ich.
    »Es tut mir leid, was da drin passiert ist. Er hätte nie so nahe an Sie herankommen dürfen.«
    »Aber jetzt ist es vorbei.« Ich atme die köstliche Luft der Freiheit ein. »Das ist alles, was zählt. Es ist endlich vorbei.«
    »Die Polizei von San Diego hat trotzdem noch eine Reihe von Fragen an Sie. Zu Bradleys Tod. Zu den Ereignissen jener Nacht.«
    »Damit werde ich schon fertig.«
    Eine Pause. »Ja, das glaube ich auch«, sagt sie. »Ich bin sicher, dass Sie mit allem fertig werden.« Ich höre den Unterton von Respekt in ihrer Stimme – es ist der gleiche Respekt, den ich inzwischen ihr gegenüber empfinde.
    »Kann ich jetzt gehen?«, frage ich. »Solange wir wissen, wo Sie sind.«
    »Sie wissen, wo Sie mich finden können.« Wo immer meine Tochter ist, werde auch ich sein.
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