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Grabeskaelte

Grabeskaelte

Titel: Grabeskaelte
Autoren: Maren Schwarz
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unverzüglich im nächsten Krankenhaus.“
    Vergebens hoffte und betete ich, dass das nicht nötig sein würde.
    Nach Tagen bangen Hoffens – wider jedes besseres Wissen – ergab eine im Krankenhaus durchgeführte Blutuntersuchung, dass der Wert meines Beta HCG, wie es in der Fachsprache hieß, den Fortbestand der Schwangerschaft ausschloss. Höchstwahrscheinlich, so wurde mir gesagt, hätte ich unbemerkt eine Fehlgeburt erlitten. Als ich daraufhin ungläubig zu bedenken gab, dass mir das ja wohl aufgefallen wäre, meinte der Arzt nur, dass der Fötus in der siebten Woche in der ich mich befand noch so klein sei, dass ein Abort durchaus unbemerkt erfolgen konnte. Ich weigerte mich das zu glauben. Schließlich kannte ich meinen Körper. Vor allem die letzten Tage achtete ich besonders sorgsam auf jede Absonderlichkeit. Tief in meinem Innersten hoffte ich noch immer, dass die Ärzte sich täuschen mochten. Ich sehnte mich verzweifelter den je nach einem Kind.
    Unvermittelt heftig verspürte ich am darauf folgenden Wochenende ziehende Schmerzen im Unterleib. Sie kamen in kurzen Abständen. Wenn ich nicht so unerfahren gewesen wäre, hätte ich möglicherweise gewusst, dass es sich um Wehen handelte. Der Fötus, von dem der Arzt meinte, er sei so winzig, dass er unbemerkt abgehen könnte, füllte immerhin eine meiner Hände aus. Es gibt keine Worte die beschreiben könnten, was ich fühlte, als das, was einmal ein Mensch – mein geliebtes Kind – hätte werden sollen, aus mir heraus glitt. Unendlich liebevoll strich ich über die bereits erkennbaren Ansätze von Ärmchen und Beinchen. Meine zitternden Finger fuhren die von kleinen blauen Äderchen durchzogene Wirbelsäule entlang, um am Köpfchen zu verharren. Dann brach ich schluchzend zusammen. So fand mich Ralph, mein Mann.
    Er versuchte sein Bestes, um mich zu trösten. Dennoch dauerte es Wochen, bis es mir gelang, mich zumindest äußerlich wieder halbwegs zu fassen. Doch tief in meinem Innersten tobte der Schmerz um den Verlust noch immer wie ein verheerender Vulkan. Er brannte sich in meine Seele und raubte mir den Rest an Lebensfreude, den zu bewahren mir bisher gelungen war. Vielleicht ging meine Ärztin ja doch recht in der Annahme, dass nicht körperliche sondern viel mehr psychische Probleme die Schuld daran trugen, dass mein Kinderwunsch bisher unerfüllt blieb.
    Das Rattern des Zuges riss mich jäh aus meinen wehmütigen Gedanken. Ein Blick nach draußen ließ mich von weitem das Völkerschlachtdenkmal erkennen, das in seiner steinernen Gewaltigkeit noch heute an die dramatische Schlacht vom Oktober 1813 erinnert, in der es gelang, die Napoleonischen Truppen zu schlagen.
    Obwohl es bis zur Ankunft noch eine Weile dauerte, griff ich mir meinen Mantel, um fluchtartig das Abteil zu verlassen. Beim Hinauseilen warf ich einen letzten wehmütigen Blick auf den noch immer friedlich schlummernden Säugling. Seine Eltern sahen mir verständnislos nach. Wie sollten sie auch ahnen, welche Erinnerungen die bloße Anwesenheit ihres Kindes in mir hervorrief.
    Aufatmend lehnte ich mich draußen im Gang gegen eines der Fenster. Die verbleibende Zeit bis der Zug im Hauptbahnhof einfuhr nutzte ich, um meine Fassung wiederzuerlangen.
    Wie immer wenn ich in Leipzig ankam, staunte ich über die sich vollzogenen Veränderungen. Das triste, zu DDR-Zeiten vorherrschende Einheitsgrau war völlig verschwunden.
    Stattdessen sah man sich, sobald man den von überdimensional wirkenden Überdachungen be-herrschten Bahnsteig betrat, von einer bunten Plakatvielfalt umgeben. Automatisch reihte ich mich in den Strom der an mir vorbei hastenden Reisenden ein. Bald schon hatte ich die Plattform, auf der sich der Informationsschalter der Bahn befand, erreicht. Ein paar Schritte weiter und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, mich in einem riesigen Warenhaus zu befinden. Verteilt auf mehrere Etagen bot sich meinen Blicken eine beeindruckend breite Palette von Ladengeschäften. Auf relativ kleinem Raum vereinten sich hier Exklusivität mit großstädtischem Flair. Für meine Begriffe war das genau die richtige Mischung, die einen lohnenswerten Einkaufsbummel versprach. Über ein Geländer gebeugt entdeckte ich ein Stockwerk unter mir die verführerische Auslage eines Obsthändlers. Früchte, als wären sie gemalt reihten sich, kunstvoll arrangiert, aneinander. Für das leibliche Wohl sorgten zudem mehrere Restaurants und Eiscafés. Selbst eine Filiale von McDonalds warb weithin
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