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Grabesdunkel

Grabesdunkel

Titel: Grabesdunkel
Autoren: Alexandra Beverfjord
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Uhr angesetzt. Tor Vaksdal, der Moderator der Talkrunde Studio 1, saß an der kurzen Seite des Tisches. In Journalistenkreisen war er eine bekannte Figur, er beherrschte das Spiel in- und auswendig. Sein rotes, lockiges Haar und seine Adlernase waren unverwechselbar, ebenso wie seine Stimme, die spitz und kräftig war und einen leichten Nordlandakzent hatte, den er stets zu unterdrücken versuchte.
    Außer Vaksdal nahmen der Ressortleiter, ein junger Mann, der früher bei einer Illustrierten gearbeitet hatte, und drei Journalistinnen an der Besprechung teil. »Drei Hühner und ein Hahn«, wie Vaksdal sie nannte. Er hatte sie von seiner Vorgängerin geerbt, einer älteren Moderatorin, die die Moderation des samstäglichen Unterhaltungsprogramms übernommen hatte, und er hielt sie alle vier für untauglich.
    Der Ressortleiter saß wie üblich an Vaksdals rechter Seite. Eigentlich war er Vaksdals Boss, doch die meisten glaubten, dass es umgekehrt sei – und in der Praxis war es auch so. Die Tageszeitungen lagen über den Tisch verstreut und waren von der Redaktion bereits nach möglichen Themen durchkämmt worden.
    Â»Also, was haben wir?«, begann der Ressortleiter.
    Vaksdal saß wie üblich zurückgelehnt und abwartend da, während er mit seinem Stuhl kippelte. Mit dem strahlend weißen Hemd und dem gestreiften Anzug war er perfekt gekleidet. Seine Manschettenknöpfe glänzten, und unter dem Hemdärmel erahnte man ein Stahlmonstrum von einer Rolex.
    Vaksdal schwieg in der Regel, während die anderen schwitzten und ihre Themen vorschlugen. Hin und wieder nickte er anerkennend zu dem einen oder anderen Vorschlag, doch meistens schoss er die Ideen mit einer ironischen Bemerkung ab, die den, der sie geäußert hatte, im Boden versinken ließ. Für ein vertrauensvolles, kreatives Milieu zu sorgen gehörte nicht zu Vaksdals starken Seiten.
    Die älteste Journalistin der Redaktion, Nina Sperring, blätterte in ihrem Notizblock. Über den Rand ihrer Brille hinweg blickte sie die anderen an. Oberhuhn, dachte Vaksdal. Gacker, gacker.
    Â»Also, dieser Mord an Helle Isaksen. Wir wissen zwar nicht, wer sie umgebracht hat, aber im Lauf des Tages dürfte sich herausstellen, dass es irgendein Verflossener war – so ist das doch meistens. Wie wäre es denn mit einer Diskussionsrunde über Morde an Beziehungspartnerinnen? Die Anzahl an Frauen, die von ihren Geliebten und Ehemännern umgebracht werden, nimmt stetig zu. Kaum zu glauben, dass es in einem gleichberechtigten Land wie Norwegen so viele chauvinistische Strömungen gibt. Vielleicht kriegen wir ja ein paar Hinterbliebene der Opfer dazu, bei uns …«
    Vaksdal stand auf. Er atmete tief durch und stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab. Sperring sah ihn unsicher an. Vaksdal schloss die Augen, schnalzte mit der Zunge.
    Â»Was ist das eigentlich für ein verdammter Feministinnenscheiß?« Sein Haaransatz war feucht, sein Hals mit roten Flecken bedeckt. »Ich fasse es nicht, dass dir nicht jedes Mal die Schamesröte ins Gesicht steigt, wenn du deine fette Gehaltsabrechnung öffnest! Du machst doch bloß einen hirnverbrannten Vorschlag nach dem anderen. Würden wir auf dich hören, wären die Einschaltquoten total im Keller. Du bist die reinste Katastrophe! Kannst du uns nicht einen Riesengefallen tun und einfach verschwinden?«
    Die anderen senkten die Blicke. Sperring stürzte aus dem Zimmer. Durch das Fenster des Besprechungsraums sahen sie, wie sie die Sachen auf ihrem Schreibtisch zusammenpackte. Dann steckte sie den Kopf zur Tür herein, sah Vaksdal an und sagte mit Nachdruck: »Das wird ein Nachspiel haben, das verspreche ich dir.«
    Sie verließ die Redaktion – vermutlich, um direkt beim Betriebsratsvorsitzenden vorstellig zu werden.
    Vaksdal setzte sich wieder.
    Der Ressortleiter sah unangenehm berührt aus. »Tor, so ein Verhalten können wir hier nicht akzeptieren«, sagte er in einem resignierten Tonfall, der verriet, dass ihm sehr wohl bewusst war, wie wenig Wirkung seine Worte hatten.
    Vaksdal schloss die Augen, drehte den Kopf nach rechts und nach links. »Zuwanderung, das ist unser Thema heute«, sagte er dann. »Die Zusammenrottung in den Gettos im Ostteil der Stadt. Macht euch an die Arbeit. Ich brauche Norweger, die sich in ihrem eigenen Land fremd und terrorisiert fühlen. Es wimmelt doch nur
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