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Gottesgericht

Gottesgericht

Titel: Gottesgericht
Autoren: Patrick Dunne
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schweren Hammer auf dem Boden liegen und dahinter eine Lampe, die von einem Grabsims entfernt worden war.
    Sie hörte den Mann, bevor sie ihn sah. Er ächzte mühsam und brabbelte in einem unverständlichen Dialekt heiser vor sich hin. Der Nebel lichtete sich weiter, und sie sah, dass er umgeben von Marmor- und Betonbrocken auf der Erde kniete. Er hatte einen bestimmten Typus von Filzhut auf, wie ihn ältere Männer in der Gegend gern trugen. Sein sonnengebräuntes, von grauen Stoppeln bedecktes Gesicht war schmal und gefurcht wie eine alte Holzschnitzerei. Und er zog einen Sarg aus einer Nische in der untersten Gräberreihe.
    Jane wandte sich zum Gehen, aber der Mann hatte sie gesehen und begann, auf sie einzureden, als versuchte er zu erklären, was er da machte. Dabei zeigte er auf einen flachen, hölzernen Karren neben sich. Er unternahm einen letzten Versuch, den einst weißen Holzsarg herauszuziehen, der jetzt grün verfärbt und vor Feuchtigkeit aufgequollen und verformt war. Da er ihn nicht herausbekam, stand der Mann auf, nahm kurz den Hut ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Er sah sie aus wässrigen, blutunterlaufenen Augen an, und in seinem Mund waren ein paar braune Zahnstummel zu erkennen, als er in seiner merkwürdigen Sprache erneut etwas zu ihr sagte. Danach wiederholte er es offenbar auf Italienisch, aber er sprach so schnell, dass Jane nichts weiter verstand als del mondo .
    Sie schüttelte den Kopf. » Non capisco« , erwiderte sie und merkte, dass ihre Stimme zitterte.
    Er setzte seinen Hut wieder auf, der wirkte, als wäre er ihm zu klein. » E la fine del mondo« , sagte er müde.
    Jetzt hatte ihn Jane verstanden. Es ist das Ende der Welt .
    Dann bückte er sich, zog noch einmal an dem Sarg, und es gelang ihm, ihn ein Stück weiter herauszuziehen. Jane wich langsam zurück und bereitete sich darauf vor loszurennen.
    In diesem Moment landete der Sarg krachend auf dem Boden. Der Aufprall genügte, damit das verfaulte Holz auseinanderfiel und der Deckel ins Innere des Sargs sackte.
    Unter gequältem Stöhnen warf der alte Mann den Deckel beiseite und nahm in Augenschein, was darunterlag. Aus Janes Blickwinkel sah es aus wie die Leiche einer Frau, die man offenbar in ihrem Hochzeitskleid beerdigt hatte. Das Material war feucht und verfärbt und klebte an ihr. Ihr Kopf war zum Glück von vielen Lagen Tüllschleier bedeckt.
    » È mia figlia« , sagte der alte Mann in schlichtem Italienisch, während Tränen in seine Augen traten. » Mia piccola figlia.« Dann bekreuzigte er sich, und ehe Jane etwas tun oder sagen konnte, zog er die Leiche seiner Tochter an die Brust.
    » Succede tutto come predetto« , flüsterte er und lüftete vorsichtig den Schleier von ihrem Gesicht. Der größte Teil des Schädels war noch von einer Maske aus schwarzem Gewebe bedeckt, aber der Stirnknochen lag frei, mit einigen Hautfetzen, die sich davon lösten. Und doch hatte sie noch immer einen vollen schwarzen Haarschopf.
    Ihr Vater blickte auf sie hinab und begann dann, leise summend, wie er es in der Kindheit des Mädchens getan haben mochte, über ihr Haar zu streichen. Im selben Moment löste es sich mit dem daran befestigten Schleier vom Schädel, wie eine Perücke, die verrutscht ist. Nur dass Jane wusste, es war keine Perücke.
    » Succede tutto come predetto« , lauteten die Worte des heiseren Schlaflieds, das ihr Vater summte, während er über den Schädel seiner Tochter strich. » Succede tutto come predetto.«
    Es trifft alles ein wie vorhergesagt.

3
    »Er heißt Enzo Bua. Ein Zimmermann aus Collalba«, erklärte Giuseppe.
    »Das Arbëresh-Dorf auf der andern Seite des Tals«, ergänzte seine Frau Lucia.
    Jane nickte. »Ja. Ich war letzten Sonntag mit Giuseppe dort zur Messe.«
    »Ach ja, richtig. Das hatte ich vergessen«, sagte Lucia. Sie war eine zierliche Frau mit modisch kurz geschnittenem grauem Haar. Und sie hatte sich eben eine Strickjacke über die Schulter gelegt, da sie draußen auf dem Balkon ihres Hauses hoch über der Landschaft saßen. Nicht dass es etwas zu sehen gab. Die Landschaft unter ihnen hätte ebenso gut das Innere einer Höhle sein können. Nur wenn stecknadelgroße Lichter in der Ferne anzeigten, dass sich ein Auto die Bergstraßen von Senise heraufschlängelte, nahm man eine Welt jenseits des Balkons wahr. Der Sitzbereich wurde nur vom matten gelben Licht einer normalen Lampe im Wohnzimmer erhellt, das durch die offene Tür hinter ihnen fiel. Giuseppe und Lucia saßen
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