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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst
Autoren: M Gardiner
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zerlegte, weil er gerade darüber nachdachte, wo zum Teufel seine Frau jetzt gerade stecken konnte.
    Denn Tabitha war verschwunden. Sie löste ihr Girokonto auf, belastete ihre Kreditkarten bis zum Maximum und machte sich aus dem Staub. Sie bezahlte in bar und hinterließ keinerlei Spuren. Wir konnten sie nicht finden.
    Einen Monat später fing das mit den Briefen an. Sie waren unter meiner Adresse an Luke gerichtet und enthielten weder eine Absenderadresse noch irgendeine Entschuldigung. Mami wünscht sich, sie könnte bei dir sein, aber sie war zu traurig und musste weggehen, schrieb sie. Wenn Daddy nach Hause kommen und sich um uns kümmern würde, könnte alles wieder in Ordnung kommen.
    Das waren Botschaften aus dem Land des Selbstmitleids, diesem Themenpark am Rande der Realität, wo Spiegel alle Beschwerden vervielfachen und »Who’s Sorry Now« in einer Endlosschleife gespielt wird. Die Briefe raubten mir den Schlaf. Glaubte sie tatsächlich, dass davon irgendetwas besser wurde? Dass Luke sie verstehen würde? Dass er ihr zuliebe Brian umstimmen würde? Der Junge hatte Albträume, Probleme in der Schule und versteckte sich stundenlang in seinem Schrank. Ich hatte das Buch, an dem ich schrieb, auf Eis gelegt, damit ich mich um ihn kümmern konnte. Als er las Mami hat dich lieb, brach er in Tränen aus.
    Schließlich kam es so weit, dass er, als er ihre Handschrift auf einem Briefumschlag erkannte, in den Garten flüchtete und dort seine Lego-Astronauten mit dem Hammer bearbeitete. Die kleinen Figuren zersprangen in tausend Stücke und übersäten meine Blumenbeete mit Miniaturkörperteilen. Nachdem er sie alle zerstört hatte, pinkelte er auf die Überreste.
    Ab Juli kamen zu meiner Erleichterung keine Briefe mehr. Aber jetzt hatte ich eine neue Nachricht erhalten, von Peter Wyoming. Dann können Sie es der Zeichnerin gleich selbst sagen, Sie sind nämlich mit ihr verwandt. Wie konnte er das wissen? Tabitha musste es ihm verraten haben. Und warum sollte sie das tun? Weil sie Luke wollte.
    Noch 182 Stunden, etwas mehr als eine Woche, bevor ich Luke zu Brian an dessen neuen Stationierungsort bringen konnte. Mir gefiel das Timing nicht.
    »Luke«, sagte ich, »warum spielst du nicht ein bisschen Basketball mit den anderen Kindern vor Nikkis Haus.«
    Als er aus der Tür war, folgte ich einer Eingebung: Ich rief bei der Auskunft an und fragte, ob sie unter Tabitha Delaney einen Eintrag zu verzeichnen hatten. Das hatte ich auch schon früher versucht, denn ich war mir sicher, dass sie eines Tages wieder nach Santa Barbara zurückkehren würde. Aber nie hatte sich ein Eintrag bei der Telefongesellschaft finden lassen.
    Bis jetzt. Die Auskunft nannte mir eine Nummer und eine Adresse am West Camino Cielo. Mir wurde ganz kalt. Es war das Haus, das Tabitha geerbt hatte, als ihre Mutter starb, eine Bruchbude im Strauchland hoch in den Bergen hinter Santa Barbara. Dort hatte SueJudi Roebuck immer das Abendessen unterbrochen, um in Zungen zu sprechen, und Tabithas Schulkameradinnen beschworen, sich im Whirlpool taufen zu lassen. Es war das Haus, das niemand ein zweites Mal besuchte, der Ort, den Tabitha hinter sich gelassen hatte, als sie sich vom Fundamentalismus ihrer Mutter lossagte. Sie hatte das Haus jahrelang leer stehen lassen.
    Einen halben Block weiter holte ich die Babysitterin ein und bat sie, zurückzukommen. Ich zog mich rasch um – Jeans, Stiefel und ein grünes Cordhemd, das Jesse gehörte – und schnappte mir die Autoschlüssel.
     
    Die Sonne glühte rot im Westen, als ich meinen weißen Explorer durch einen ausgetrockneten Flusslauf an Sandsteinfelsen und graugrünem Gestrüpp vorbei in Richtung von Tabithas Haus steuerte. In der Luft lag ein starker Geruch von Eukalyptus und Senfgewächsen. Die Aussicht auf die Stadt sechshundert Meter unter mir war spektakulär: Santa Barbara lag glitzernd wie eine samtene Schärpe zwischen den Bergen und dem Pazifik.
    Das Haus wirkte verwahrlost. Verblichene graue Farbe blätterte von der Holzverkleidung, und Unkraut spross überall aus dem ungepflegten Rasen. Als niemand auf mein Klopfen reagierte, spähte ich durch eines der Fenster. Im Wohnzimmer konnte ich einige Stühle aus dem Ramschladen und einen Arbeitstisch voller Stifte und Zeichnungen erkennen. In der winzigen Küche standen Einkaufstüten, die förmlich überquollen von Dosenmais und Frühstücksfleisch. War es das, was sie für Brian gekocht hatte? Kein Wunder, dass er lieber zur See fuhr.
    An der
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