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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst
Autoren: M Gardiner
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zu ihm. »Wie können Sie es wagen, so mit meiner Frau zu sprechen?«
    Peter Wyoming richtete sich auf. »Frau? Sie meinen wohl Ihre Hure?«
    Seine Anhänger lachten, feuerten ihn an und schwenkten ihre Plakate.
    Carls dicke Brille saß ihm schon ganz schief im Gesicht. »Ihr Schweine! Ihr nennt euch Christen? Schämt euch!«
    Wyoming blinzelte wie eine Eidechse, die blassblauen Augen direkt auf Nikki gerichtet. »Der Herr spricht: Ich habe gesehen deine Ehebrecherei, deine Geilheit, deine freche Hurerei.«
    Carls Muskeln zuckten unter seinem Nadelstreifenanzug. »Nicht!«, rief Nikki. Sie machte einen Schritt auf Wyoming zu und blickte mich dann hilfesuchend an. »Evan -«
    Wir hängten uns gleichzeitig an Carls Arme. Mittlerweile war er nur noch wenige Zentimeter von Wyoming entfernt und holte zu einem Schlag aus, den wir nicht hätten stoppen können. Aber dann hörte ich Nikkis Stimme, die beruhigend auf Carl einredete, gerade so laut, dass Wyoming es hören konnte.
    »Er ist doch bloß ein hirnloser Hinterwäldler. Er ist es nicht wert.«
    Die ruhige Würde, die aus ihren Sätzen sprach, brachte ihn zur Besinnung. Er ließ die Fäuste sinken und wandte sich ihr zu. Das verächtliche Grinsen in Wyomings Gesicht, weil kein richtiger Mann sich von zwei Frauen zurückhalten ließ, überging er.
    »Sie denken, dass Claudine was Besonderes war und dass sie sich immer für ›Mitgefühl‹ und ›Heilung‹ und ›Bildung‹ eingesetzt hätte«, sagte Wyoming laut. »Aber das sind alles nur schöne Worte für Hurerei.«
    Vor uns schoben die Träger den Sarg in den Leichenwagen. Nikki schien sich ganz auf sie zu konzentrieren, um die Beherrschung zu wahren. Ich stieß Carl an und nickte in Richtung der Reporter. »Denen wäre nur aufgefallen, dass du als Erster zugeschlagen hast.«
    »Trauert und weint in eurem Elend«, intonierte Wyoming. »Geht auf die Knie vor dem Herrn und er wird euch erhören.«
    Er benutzte die Heilige Schrift als Feuerschutz. Und plötzlich hatte ich endgültig genug. »Ich weiß jetzt, was Ihr Problem ist: Sie verwechseln Demut mit Demütigung.«
    Der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt fuhr dazwischen. »Eure großen Worte können euch nicht helfen. Auch ihr werdet in der Hölle schmoren!«
    Nikki biss sich auf die Lippen und ging schneller. Diese Leute sollten sie nicht weinen sehen. Carl hatte seinen Arm fest um sie gelegt.
    »Hure!«, schrie der Bürstenschnitt ihr hinterher.
    Ich drehte mich zu ihm um. »Woran liegt es eigentlich, dass euch Leuten mit Spatzenhirnen immer nur die gleichen Beleidigungen einfallen? Ist da in eurem Kopf kein Platz für eine klitzekleine Variation?«
    Seine Akne begann zu erglühen. Bevor er antworten konnte, drehte ich mich weg. Carl hielt die Tür für Nikki auf und wartete, bis sie sich in den Wagen gehievt hatte, dann knallte er die Tür zu und ging um den Wagen herum.
    Nikkis Blick war auf der Windschutzscheibe haften geblieben, wo ein Flugblatt unter den Scheibenwischern steckte. Hastig zog ich es heraus. In grellroten Buchstaben stand da: »DU BIST DIE NÄCHSTE!« Darunter fand sich ein Comicstrip mit dem Titel »Aids – die Strafe Gottes«, in dem sich Straßenmädchen ihre Läsionen aufkratzten. Die Zeichnungen waren grausam und zugleich erschreckend professionell. Am Ende der Seite empfahlen die Standhaften: »Besuchen Sie uns im World Wide Web!«
    Carl ließ den Motor aufheulen. Andere Trauergäste rissen Flugblätter von ihren Scheiben, schüttelten den Kopf und zerknüllten sie. Hinter mir riefen die Reporter Wyomings Namen, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dann setzte sich der Leichenwagen in Bewegung, und Carl folgte ihm an der Spitze der düsteren Prozession, die Claudine auf ihrer letzten Reise begleitete.
    Wyomings tiefe, trockene Stimme erhob sich über den allgemeinen Geräuschpegel. Er sprach mit einem Fernsehreporter und drängte sich dabei dem Mikro entgegen. Es ging mir gegen den Strich, dass er hier das letzte Wort haben sollte. Ich ging auf ihn zu.
    Gerade erklärte er, dass er kranke Menschen durchaus nicht hasste, aber dass sie Gott ein Dorn im Auge waren und die Standhaften diese Tatsache endlich publik machten. Der Reporter nickte und legte den Kopf schräg, was wohl gleichzeitig Interesse und Skepsis demonstrieren sollte. Dann fragte er Wyoming, ob er glaube, dass er die Besucher der Beerdigung bekehrt hätte.
    »Nein, und das ist mir auch vollkommen egal. Wer Böses tut, der tue weiterhin Böses, und wer unrein ist, der
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