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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst
Autoren: M Gardiner
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neuer Wesenszug zum Vorschein. Plötzlich gab sie sich kess, schnippisch und kokett. Sie strahlte eine gesunde Verruchtheit aus, als ob der konservative Karorock Leoparden-Strapse verdecken würde. »Lebenslustig« war das Wort, das Brian zu ihr einfiel. Gleichzeitig neigte sie zur Traurigkeit, sie sehnte sich nach Sicherheit und einem Ziel im Leben. Also beschloss Brian, den Retter zu spielen, fest davon überzeugt, dass sie sich an seiner Seite zu einer starken Frau entwickeln und ihm dafür danken würde. Er wollte ihr Ritter in der strahlenden Rüstung sein.
    Sechs Monate später heirateten sie. Sie waren völlig vernarrt ineinander. Schon bald kam Luke auf die Welt, ein Kind wie ein Juwel, das Siegel ihrer Verbindung. Alles war perfekt.
    Und dann brach mit einem Mal alles auseinander.
    Tabitha hasste das Leben als Braut eines Marinesoldaten. Sie hasste die kurzfristigen Versetzungen – San Diego, Pensacola, Lemoore, Kalifornien: zu groß, zu heiß, zu isoliert. Sie hasste die unzureichende Unterbringung und die komplizierten Dienstvorschriften, hasste es, dass Brian monatelang auf See war. Sie muss sehr, sehr einsam gewesen sein, aber zu meinem eigenen Bedauern konnte ich kein Mitleid für sie aufbringen. Ich war die Tochter eines Mannes von der Navy, war mit dem Marineleben groß geworden und hatte mich stets angepasst. Auch Brian hatte das getan, und er erwartete es von seiner Frau. Aber sie konnte das nicht.
    Stattdessen erklärte sie, sie sei am Durchdrehen. Sie konnte es nicht mehr ertragen, sich um alles alleine zu kümmern, alleine zu schlafen und mit einem anstrengenden Kind zu Hause eingesperrt zu sein, während er weg war. Verlass die Navy, bat sie ihn. Und wusste nicht, dass das in der Delaney-Familie das Falscheste war, was man sagen konnte. Es war, als hätte sie von Brian verlangt, sich das Herz herauszureißen. Danach war sie für ihn nicht mehr unschuldig und sensibel, sondern unreif und bedürftig. Als sein Geschwader in den Pazifik auslief, stießen ihr Gejammer und ihre Drohungen bei ihm auf taube Ohren.
    Es ist einfach nicht fair. Ich will keine alleinerziehende Mutter sein, nicht schon wieder – mach du das doch mal, und dann warten wir ab, wie dir das schmeckt. Warum kannst du nicht für United Airlines arbeiten?
    Er starrte sie nur an, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf. Warum in aller Welt sollte er eine Boeing 737 fliegen wollen? Er flog eine F/A-18 von Bord des Flugzeugträgers USS Constellation. Er hatte den verdammt besten Job der Welt.
    Eine Woche bevor Brian zur See fuhr, verließ sie ihn. In Tränen aufgelöst rief er mich an. Ich sollte mich um seinen Sohn kümmern.
     
    Auf dem Weg vom Gerichtsgebäude nach Hause schaute ich bei Nikki vorbei, um zu sehen, wie sie nach der Beerdigung zurechtkam. Ihr Haus und das meine standen auf dem gleichen Grundstück in der Nähe der Alten Mission in Santa Barbara. Sie und Carl lebten in dem viktorianischen Bau vorne an der Straße, ich bewohnte das kleinere Gästehaus am Ende des weitläufigen Gartens. Als ich ankam, löste sich die Zusammenkunft nach der Beerdigung gerade auf. Kinder in Sonntagskleidung spielten Basketball in der Einfahrt, Reggae-Musik drang durch die Eingangstür. Auf dem Esstisch türmten sich leere Töpfe. In der Küche waren die Cousinen am Spülen. Nikki saß auf ihrem schwarzen Ledersofa im Wohnzimmer, hatte die Schuhe ausgezogen und die geschwollenen Füße auf den Couchtisch gelegt. Ich bedeutete ihr sitzen zu bleiben.
    Sie klopfte mit der Hand aufs Sofa. »Ich hab gehört, du hast dir mit den Fanatikern eine zweite Runde geliefert«, sagte sie, als ich mich neben sie sinken ließ. »Mama wäre stolz auf dich gewesen.«
    Ich drückte ihr die Hand. Einerseits wollte ich ihr danken, schämte mich aber auch dafür, dass Tabithas Zeichnungen noch zu ihrem Schmerz beigetragen hatten.
    »Du hast richtig gehandelt«, sagte sie. »Ich hab mich getäuscht. Man darf diese Leute nicht ignorieren. Man muss sich gegen solche Gruppen wehren, sonst überrollen sie uns.«
    Sie legte den Kopf zurück. Trotz ihrer Schwangerschaft wirkte sie ausgemergelt. Ich fragte, ob sie in Ordnung sei.
    »Wird schon wieder. Ich werd jedenfalls nicht den Kopf hängen lassen. So hat Claudine mich nicht erzogen.«
    Ein paar Minuten später machte ich mich auf den Weg zu meinem Adobe-Haus, das von Hibiskus und Sternjasmin umgeben im Schatten moosbehangener Eichen stand. Ich schob Lukes Fahrrad vom gepflasterten Weg und öffnete die
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