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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst
Autoren: M Gardiner
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mein schwarzes Kostüm und fragte, wie die Beerdigung war.
    »Praktisch ein einziger Aufruf zur Gewalt.« Ich gab ihm das Flugblatt. Er betrachtete es angeekelt. Als ich ihn auf die Signatur der Künstlerin hinwies, musste er, genau wie ich, zweimal hinschauen. »Das gibt’s doch nicht.«
    »Es ist eine lokale Kirchengemeinde, Jesse. Ich fürchte, das bedeutet, dass sich Tabitha in Santa Barbara aufhält.«
    Er wies auf eine der Zeichnungen. »Und das hier bedeutet, dass dein Bruder sich in Acht nehmen muss.«
    So offensichtlich es war, ich hatte es nicht bemerkt: Orange Feuerstürme wüteten über den Bergen, schwarze Risse zerteilten die Erde und verschlangen das Hollywood-Logo, das Capitol und – einen Marineoffizier in blauer Ausgehuniform.
    »Versöhnung ist bei ihr definitiv nicht angesagt«, stellte er fest. »Was wirst du tun?«
    »Ich werde Brian warnen, dann werde ich sie aufspüren und rausfinden, was los ist. Vielleicht hat sie nichts mit der Kirche zu tun, vielleicht war der Comicstrip nur eine Auftragsarbeit.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht. Nicht bei ihrer Vergangenheit.«
    Schon wieder ins Schwarze getroffen, Blackburn. Ich wich seinem Blick aus und versuchte nicht über Tabithas wahre Motive nachzudenken. Jesse umfasste mein Handgelenk. »Was, wenn sie zurückgekommen ist, um sich Luke zu holen?«
    Luke, der gemeinsame Sohn von Brian und Tabitha, war sechs Jahre alt. Seit acht Monaten – seit sie abgehauen und Brian nach Übersee versetzt worden war – lebte er bei mir.
    Jesse hielt das Flugblatt hoch. »Evan, das hier ist richtig schlimm. Wenn Tabitha angefangen hat, an diesen Müll hier zu glauben -«
    »Ich weiß. Es geht um Luke«, seufzte ich. »Ich muss sie einfach finden.«
     
    Als die Ehe meines Bruders scheiterte, hatte mein Schuldgefühl-Gen einen dumpfen Schmerz in meinem Brustkorb ausgelöst. Jeder seiner Stiche sagte mir, es ist dein Fehler, es ist dein Fehler. Denn ich hatte die beiden einander vorgestellt.
    Tabitha war zwanzig Jahre alt, als ich sie kennenlernte. Sie bediente in einem Café, das ich öfter besuchte. Sie war aufgeweckt und stets guter Dinge, dazu mit einer üppigen Figur und kastanienbraunen Locken gesegnet, die verführerisch aus ihrem Haarreif fielen. Ihre durchdringende Stimme war immer ein wenig zu laut. Zu der Zeit arbeitete ich noch als Anwältin, verfasste aber bereits mit großer Leidenschaft Kurzgeschichten und sehnte mich regelrecht nach dem Einstieg in die Literatur. Als ich eines Abends über meinen Schreibblock gebeugt am Tisch saß, bemerkte ich, dass Tabitha sich länger als sonst an meinem Tisch herumdrückte. Zögernd, als ob sie mir etwas Schockierendes zu erzählen hätte, sagte sie: »Ich weiß, wie es Ihnen mit dem Schreiben geht. Wirklich, ich bin nämlich selbst Künstlerin.«
    Im nächsten Augenblick saß sie bei mir am Tisch und erzählte, dass sie Science-Fiction mochte – also das, was ich gerade schrieb -, aber noch mehr auf Fantasy stand: Geschichten mit Zauberern, Schwertkämpfern und Prinzessinnen in Not. Sie beugte sich zu mir herüber. »Gibt es Drachen in Ihren Geschichten? Drachen sind toll.«
    Ihre Faszination mochte einem kindisch vorkommen, aber das lag daran, dass sie gerade erst dabei war, ihr Vorstellungsvermögen zu entwickeln. Sie war in einer Familie aufgewachsen, in der jegliche Kreativität von krassem Fundamentalismus erstickt worden war. Weltliche Musik war nicht erlaubt gewesen, ganz zu schweigen von Jungs. Ebenso verboten war weltliche Literatur mit heidnischen Fabelwesen. Für Tabithas Mutter kam das Lesen der Geschichte von König Artus und den Rittern der Tafelrunde schon fast dem Abhalten einer schwarzen Messe am heimischen Küchentisch gleich.
    In meiner Geschichte gab es keine Drachen, aber als ich das nächste Mal ins Café kam, eilte mir Tabitha mit glänzenden Augen entgegen. In den Händen hielt sie ein paar Zeichnungen, die sie zu meiner Geschichte gemacht hatte – wildromantische Bilder, auf denen der Held sich trotzig den Stürmen stellte. Mir gefielen sie. Und Tabitha war mir auch sympathisch. Als mein älterer Bruder zu Besuch kam, stellte ich sie ihm vor.
    Sie schien überwältigt von Brian, von seinem rabenschwarzen Haar, den dunkelbraunen Augen und seiner Stimme, die selbst unter größtem Druck Ruhe und Selbstbewusstsein ausstrahlte. Er war ein Kampfflieger, und das sah man ihm an, selbst wenn er keine Uniform trug. Tabitha zögerte keine Sekunde lang.
    In seiner Gegenwart kam bei ihr ein
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