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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst
Autoren: M Gardiner
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Schiebetüren. Der Soundtrack eines Zeichentrickfilms schrillte mir entgegen. Im Fernsehen jagte der Coyote den Hasen durch die Wüste. Am anderen Ende des Sofas hob sich ein kleiner Kopf, um zu sehen, wer gekommen war.
    »Hallo, Tante Evan.«
    Ich kickte meine hohen Schuhe in die Ecke. »Hey, Tiger, kannst du mal den Fernseher leiser stellen?«
    Luke nahm die Fernbedienung in beide Hände wie eine Strahlenpistole, stellte leiser und sprang auf die Füße. Die Babysitterin, eine College-Studentin im zweiten Jahr, die sich mit tropischer Langsamkeit bewegte, begann Saftkartons und Popcornreste aufzuräumen. Meine Junggesellinnenwohnung war zum Abenteuerspielplatz geraten: von den Navajo-Decken über die Fotografien von Ansel Adams bis zu den skandinavischen Möbeln war alles übersät mit Spielzeug und Chuck-Jones-Filmen. Die Rolle als Erzieherin war mir unverhofft zugefallen, aber wenigstens verstand ich genug davon, um darauf zu bestehen, dass mein Neffe die Klassiker des Zeichentrickfilms kennenlernte.
    »Rat mal, wer angerufen hat«, sagte Luke, als die Babysitterin gegangen war.
    Mir wurde flau. Bitte nicht Tabitha.
    »Papa!« Das Wort verlieh ihm neue Energie. Er hüpfte mir in die Küche hinterher und schüttelte seine schwarze Mähne. »Er geht heute in unser neues Haus und macht mein Zimmer für mich fertig.«
    Mein Bruder war gerade an einen neuen Einsatzort versetzt worden, das Naval Air Warfare Center in China Lake, Kalifornien. Es dauerte noch ein paar Tage, bevor ich ihm Luke vorbeibringen konnte.
    »Er kann es kaum erwarten, dich dort in Empfang zu nehmen, Kumpel.«
    Er lächelte. Luke hatte Grübchen, und unten fehlte ihm ein Zahn. Sein Tom-Sawyer-Lächeln haute mich immer wieder um. Begeistert drückte er seine Hände gegen die Ärmel meiner weißen Bluse. Seine Finger waren schmutzig, er trug den Sand vom Spielplatz unter seinen Nägeln. Ich wusste, dass ich die Bluse würde waschen müssen, aber diese zarten Hände, diese kleinen zappeligen Finger zogen mich so sehr in ihren Bann, dass ich mich nicht beschwerte.
    »Ich hab schon meine Tasche gepackt«, sagte er.
    »Jetzt schon?«
    »Ich hätte deine Tasche auch packen können, aber ich wusste nicht, wo dein besonderes Zeug hingehört, deine Sonnenbrille und deine Vitamine. Und die Sorgerechtspapiere.«
    Dass er davon wusste, versetzte mir einen Stich. Ich sagte ihm, er hätte Recht gehabt, das mir zu überlassen. Als er fragte, ob er eine Kühltasche für die Fahrt packen konnte, vertröstete ich ihn auf nächste Woche.
    Ich nahm eine Limonade aus dem Kühlschrank. An der Kühlschranktür hingen ein Dutzend Schnappschüsse von Brian – in seiner Fliegermontur, neben seiner F/A-18 Hornet, mit Luke auf seinen Schultern. Jesse nannte das den Schrein. Ich hatte die Bilder hier befestigt, damit Luke seinen Vater jeden Tag sehen konnte. Damit er ihn nicht vergaß.
    Dabei waren auch die Fotos, die ich vor einer Woche in San Diego aufgenommen hatte, als die USS Constellation in den Hafen zurückkehrte. Die Heimkehr des Flugzeugträgers war ein großes Ereignis: Matrosen waren an Deck angetreten, Flaggen flatterten im Wind und Familien warteten an Land – Tausende von Menschen, denen beim Anblick des Schiffs das Herz aufging. Ich betrachtete das Bild, das ich gemacht hatte, als mein Bruder bei uns ankam: Brian hatte Luke in die Arme genommen und drückte ihn fest an sich. Es war ein glorreicher Moment. Wie immer bei solchen Festlichkeiten.
    Luke streichelte meine Arme. Seine großen dunklen Augen glänzten. Er hatte sie von Tabitha geerbt. »Wie viele Stunden dauert es noch, bis wir zu meinem neuen Haus fahren?«, fragte er. »Ich meine, wie viele genau?«
    »Genau? Im Moment würde ich schätzen … 182.«
    Würde er sich noch an mich erinnern, wenn er erst mal wieder zu Hause war?
     
    Vor acht Monaten war Brian mit seinem Geschwader aufgebrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Hand am Steuerknüppel zitterte, als er den Jet für die Landung auf dem Flugzeugträger in den Wind stellte. Aber Scheidung ist ein scharfes Schwert. Der Schmerz schneidet tief ins Fleisch, und ich wusste, dass er trotz seiner gelassenen Haltung schwer angeschlagen war. Sein befehlshabender Offizier wusste das auch. Er empfahl ihm, die Zähne zusammenzubeißen und sich nicht von einer Frau in die Knie zwingen zu lassen. Verständlicherweise hatte sein Vorgesetzter etwas dagegen, dass Brian Delaney einen fünfzig Millionen Dollar teuren Kampfjet auf dem Landedeck
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