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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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suchte ich in ihren Augen nach einem Anzeichen, dass sie mich als Verwandte, ja, als Freundin erkannte. Nicht, sag jetzt nichts, versuchte ich sie wortlos zu beschwören. Aber sie hatte dieses Leuchten in den Augen, eine gleißende und erbarmungslose Kraft. Und schon dröhnte ihre ungestüme Stimme in meinen Ohren.
    »Jesus hat mich den Klauen des Satans entrissen.«
    Wyoming fragte: »Wie hat er das getan?«
    »Er rettete mich aus einer unheiligen Ehe.«
    Ein hörbares Oh nein entwich der Gemeinde. Wyoming hob eine Hand. »Richtet nicht über sie. Nur zu leicht lassen sich naive junge Leute von sogenannten Freunden dazu verlocken, Beziehungen zu jenen einzugehen, die nicht errettet sind. Ist es nicht so, Tabitha?«
    »Ja, und ist so leicht, dass man Angst bekommen könnte. Sie stellen das Leben ihrer Genossen, die nicht errettet sind, als herrlich und aufregend dar und wollen, dass du dich ihnen anschließt. Und sie hat so ehrlich und aufrichtig dabei gewirkt.« Jetzt redete sie von mir. »Sie hat mich zu dem ermutigt, was sie Kreativität nannte, aber sie meinte damit gottlose Kunst und Lügengeschichten. Und ich fiel auf sie herein. Sie führte mich an einen dunklen, dunklen Ort. Zum Leben mit ihm.«
    »Mit deinem Ehemann.«
    Sie nickte.
    »Erzähl ihnen, wie gefährlich er war.«
    »Er -«, sie senkte den Blick. »Er ist Offizier bei der Navy. Er ließ uns von einem römisch-katholischen Priester trauen.«
    Stille. Sie hätte genauso gestehen können, dass mein Bruder kleinen Kätzchen zum Spaß den Kopf abbiss. Paxtons Griff an meinem Kragen wurde noch fester, und ich konnte seinen Atem im Nacken spüren.
    Als Tabitha aufschaute, spiegelten sich Scham und Trotz in ihren Zügen. »Ich gestehe, dass ich verloren war. Aber der Herr hat mich gefunden. Er zeigte mir, dass ich über einem Abgrund hing. Und kurz bevor ich gefallen wäre«, sie ballte eine Hand zur Faust, »riss er mich an sich und führte mich zu Ihnen.«
    »Und was hat Jesus dir an diesem Abgrund gezeigt?«, stachelte Wyoming sie an.
    »Die Wahrheit über meinen Ehemann. Dass er an eine falsche Religion glaubt und für Satans Handlanger kämpft.«
    Diese Zeile war ihr vorgegeben worden, und sie rezitierte sie hölzern, aber die Köpfe in der Menge begannen zu nicken wie Wackeldackel auf der Hutablage eines Autos. Mein Magen verkrampfte sich. Ich wollte sie anschreien, ihr Weltbild zurechtrücken, ihr die Blindheit nehmen. Ich wollte schreien: Erzähl ihnen auch den Rest, nämlich dass du dein Kind hast sitzen lassen. Aber als ich den Mund öffnete, grub Paxton seine Hand in meinen Nacken. Ich konnte nur still dastehen, während es in mir brodelte.
    »Und ich habe die Früchte der Endzeitlügen des Satans gesehen.« Mit einem Schlag nahm ihre Stimme neue Überzeugungskraft an. »Ich habe gesehen, wie Christen durch diese Lügen zur Verzweiflung getrieben wurden. Es ist so furchtbar. Aber bis Sie mich aufklärten, habe ich nicht gewusst, dass es sich um eine Verschwörung des Teufels handelt.«
    Es traf mich wie der Schlag mit einem Holzhammer. Plötzlich verstand ich: Tabitha redete von ihrer Mutter.
    Wyoming nickte verständnisvoll. »Ich danke dir für deine Ehrlichkeit. Allerdings glaube ich nicht, dass sie etwas bewirkt hat.«
    Er reckte erneut das Kinn und starrte auf mich herab. Hundert Köpfe fuhren herum, um es ihm gleichzutun. Ich blieb stumm.
    »Nein, kein bisschen. Genau wie ich es mir gedacht hatte.« Er seufzte. »Tabitha, langsam läuft diese Sache aus dem Ruder, kümmere dich darum.«
    Er senkte das Mikrofon, ging zur Solosängerin des Chors und ließ Tabitha allein in der Bühnenmitte zurück. Die Sängerin zückte ein Taschentuch und tupfte den Schweiß von Pastor Petes glänzender Stirn. Tabitha blickte in hundert erwartungsvolle Gesichter.
    Dann nickte sie Isaiah Paxton zu. »Raus mit ihr.«
    Er schob mich in Richtung Tür. Ich krallte meine Nägel in seine Hände und stemmte meine Absätze in den Boden. Curt Smollek ergriff mich von vorne, und beide schleiften mich hinter sich her.
    »Wer hat jetzt das Spatzenhirn, Frau Neunmalklug?«, zischte Smollek mir ins Ohr.
    Ich wollte ihn beißen, aber wir kamen dem Ausgang immer näher. Schnell drehte ich meinen Kopf ein letztes Mal zur Bühne. Tabitha stand noch immer dort, stocksteif und weiß wie eine Marmorsäule.
    »Vielleicht hast du dich in diesen Zirkus hier eingekauft«, rief ich ihr zu, »aber vergiss nicht – caveat emptor.«
    Die Leute schnappten hörbar nach Luft. Latein …

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