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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst
Autoren: M Gardiner
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Millennium des Herrn.«
    Jetzt sprangen alle auf, jubelnd und gröhlend. Das Piano begann zu hämmern. Wyoming reckte das Kinn in die Luft wie Il Duce, und der Chor fing an zu singen.
    »Er hält mich in seinen Armen, mein Herr Jesus Christus. Er spannt den Hahn und zielt, hält mich fest an seiner Seite. Er drückt ab und die Kugeln fliegen -«
    Meine Augen brannten und meine Ohren dröhnten, als die Musik zum Refrain anschwoll:
    »Feuer frei! Ich bin die Waffe des Herrn. Feuer frei! Schreit mein Erlöser -«
    Wyoming breitete die Arme aus. »Was wollt ihr?«
    »Den Sieg!« Ihr Geschrei erfüllte den ganzen Raum.
    Mein Mund war völlig ausgetrocknet, und mir wurde übel bei dem Gedanken, dass Tabitha diese Anschauungen teilte und sie vielleicht sogar Luke aufzwingen wollte. Die Hitze und der Lärm taten ein Übriges. Ich schloss die Augen.
     
    Als ich sie wieder öffnete, war das puppengesichtige Mädchen aufgestanden und deutete auf mich. Ihre Lippen bewegten sich, aber in dem allgemeinen Tohuwabohu gingen ihre Worte unter.
    Ich spürte, wie sich meine Hände verkrampften. In mir hallten Nikkis Worte nach: Man musste sich gegen diese Leute wehren und durfte nicht zurückweichen. Also blieb ich reglos stehen und beobachtete, wie sich das Gesicht des Mädchens vor Wut verzerrte, als sie bemerkte, dass niemand sie hörte. Sie kletterte auf einen Stuhl und kreischte ein einziges Wort.
    »Ungläubige!«
     
    Ihre Stimme schnitt wie eine Fabriksirene durch das Gebrüll der Leute. Am anderen Ende des Raums drehten sich Leute um und starrten mich an.
    »Sie kommt von der Beerdigung«, rief das Mädchen. »Sie ist diejenige, die Pastor Pete beschimpft hat. Sie ist eine von den Aids-Leuten.«
    Um mich herum lichteten sich die Reihen, Gemeindemitglieder wichen vor mir zurück. Das Mädchen hüpfte vom Stuhl und bewegte sich auf mich zu. »Was haben Sie hier zu suchen? Wir wollen Ihr Aids und Ihren Voodoozauber nicht!«
    Ich erinnerte mich an die Einladung auf dem Flugblatt. »Ich bin hier, um nach der Demonstration Zeugnis abzulegen.«
    Sie schürzte die Lippen. »Na klar. Sie sind doch überhaupt nicht errettet, das kann ich sehen.«
    »Das kannst du?« Ich spähte an mir herunter. »Woran denn?«
    Ein gesundes Misstrauen gegenüber Missionierungsversuchen liegt mir im Blut. Die kleinste Irritation reicht schon, um mich auf die Palme zu bringen. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die nichts von reisenden Vertretern hielt. Meine Mutter sagte immer, die Delaneys kaufen keine Staubsauger an der Tür, und sie werden den Teufel tun, sich zwischen Tür und Angel einen Glauben aufschwatzen zu lassen. Wenn die Zeugen Jehovas klingelten, ging mein Vater immer in Unterhosen an die Tür oder rief mit den Worten »Bei Fuß, Luzifer« laut nach dem Hund.
    Und nach all dem, was ich an diesem Tag gehört hatte, war die junge Frau mit dem rattigen Pferdeschwanz und den grünspanfarbenen Augen alles andere als eine kleine Irritation. Sie war eher ein Schlag ins Gesicht.
    »Sie verschmutzen unseren Altarraum mit Ihrer Anwesenheit. Sie müssen jetzt gehen.«
    »Aber das Kinderprogramm hat doch noch gar nicht angefangen.« Ich deutete auf den Programmzettel. »Hier, die Kleinen Krokodile erzählen mit ihren Handpuppen von der Hure Babylon.«
    Sie glotzte mich an wie einen bösartigen Drachen. »Die Bibel warnt uns vor Leuten wie Ihnen! Ihr Rachen ist ein offenes Grab, mit ihren Zungen betrügen sie, Otterngift ist unter ihren Lippen.«
    Ich verschränkte die Arme. »Dann schlag mich doch tot!«
    Ihre Püppchenlippen öffneten sich. Das Herz hämmerte mir in der Kehle, aber ich rührte mich nicht vom Fleck.
    Eine scharfe männliche Stimme ertönte hinter mir. »Was ist hier los?«
    Das Mädchen grinste abfällig. Jetzt bist du dran. »Eine Ungläubige, Mr. Paxton.«
    Er war in seinen Mittvierzigern, groß und schlank, trug den angesagten Bürstenhaarschnitt, ein kariertes Flanellhemd und Jeans. Er wirkte entspannt, aber sein Blick war erbarmungslos. »Wir treffen uns hier, um den Herrn zu preisen, nicht zur Gotteslästerung.«
    »Ich habe nicht gelästert«, antwortete ich. Er war von kräftiger Statur und damit ziemlich ehrfurchtgebietend.
    »Wie sonst sollten Sie Shiloh so wütend gemacht haben«, sagte er, »außer durch Lügen und -«
    »Ich weiß, Otterngift ist unter meinen Lippen.« Seine Augen blitzten wie Mündungsfeuer auf, bevor er die Stirn in Falten legte. Ich sagte: »Ich suche jemanden aus meiner Familie.«
    Das war definitiv
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