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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst
Autoren: M Gardiner
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die falsche Antwort. Sie schienen offenbar zu befürchten, dass sich ein Sekten-Deprogrammierer in ihren Gottesdienst eingeschlichen hatte. Paxton ergriff mich am Kragen. »Sie haben widerrechtlich Privatgelände betreten. Los, raus jetzt!«
    Ich wehrte mich gegen seinen Griff, aber sofort kam ein zweiter Mann hinzu und schnappte sich meinen Arm. Es war der aknenarbige Demonstrant mit dem Bürstenschnitt, der Nikki Vincent »Hexe« genannt hatte.
    »Wie viele von euch warten draußen?«, fragte Paxton.
    »Lassen Sie mich los!«
    Er packte fester zu. »Wie viele?«
    »Neun. Ein Team aus lauter Nonnen, die mit Baseballschlägern bewaffnet sind.«
    Bürstenschnitt zerrte an meinem Arm. »Kommen Sie mir bloß nicht komisch!«
    Sein grober Griff signalisierte der Menge, dass heute Abend freies Denunzieren mit Anfassen angesagt war. Die Leute drängten nach vorne, allen voran Shiloh. Finger zeigten auf mich, und ich hörte »Leute wie die machen mich krank«. Eine Handfläche knallte mir auf den Hinterkopf. Bürstenschnitts Mund verzog sich zu einem unvorteilhaften Grinsen, das seine lückenhaften gelben Zähne offenbarte.
    Jetzt wurde ich langsam richtig sauer – am meisten noch auf mich selbst, denn ich hatte ja förmlich um Aufmerksamkeit gebeten. Ich drängelte mich zur Bühne vor. »Pastor Pete!«
    Vorne klatschten die Leute immer noch im Rhythmus, während sich der Chor in einer stampfenden Melodie über Befleckung und Aufopferung erging. Ich rief erneut. Wyomings Augen suchten die Menge ab, schließlich landete sein Blick in der Ecke, aus der das Ärgernis kam. Bei mir.
    »Ich tue gerade, was Sie von mir verlangt haben«, erklärte ich mit erhobener Stimme.
    Natürlich wusste ich, dass er mit seiner Aufforderung, meine Meinung der Zeichnerin selbst mitzuteilen, nicht gemeint hatte, dass ich Tabitha in seinem Gottesdienst aufsuchen sollte. Aber meine Worte zeigten Wirkung: Sie verwirrten die Menge um mich herum immerhin so, dass sie ihre Sticheleien einstellten.
    Wyoming führte das Mikrofon an seine Lippen. »So, so.«
    Er gab dem Chor ein Zeichen, der daraufhin verstummte. Langsam wich die Menge um mich herum zurück, nur Paxton hielt mich weiter am Kragen gepackt, und Shiloh verpasste mir mit ihren Autoschlüsseln zum Abschied noch einen Stich in die Seite. Wyoming wartete. Er ließ die Leute sich beruhigen. Auch ich sollte mir offenbar ein Bild von der geballten Kraft um mich herum verschaffen – und wie gut er sie unter Kontrolle hatte.
    Er lächelte. »Ich glaube, Miss Delaney, Sie haben heute früh etwas von Vergebung zu mir gesagt.«
    Stille legte sich über die versammelte Gemeinde. »Von Vergebung, ja«, erwiderte ich, »aber nicht davon, sich über andere Menschen zu erheben. Trotzdem weiß ich, was Sie sagen wollen.«
    Der Menge gefiel meine mangelnde Unterwürfigkeit nicht. Wyomings Gesichtsausdruck erstarrte. »Shiloh, Isaiah« – anscheinend war Paxton gemeint -, »danke für eure Wachsamkeit. Ihr seid die Sorte großkalibriger Kugeln, die der Herr in seinem Magazin braucht.« Er zeigte auf Bürstenschnitt. »Du, Curt Smollek, wirst du den gleichen Kampfgeist an den Tag legen, wenn es an der Zeit ist, sich der Bestie zu stellen?«
    »Oh ja, Pastor Pete. Richten Sie mich direkt auf ihn und drücken Sie ab.« Smolleks ahmte das Laden einer Pumpgun nach. »Und er wird fallen.«
    »Exzellent.« Ein neuer Gesichtsausdruck: ein gönnerhaftes Lächeln. »Miss Delaney, es war nicht nötig, dass Sie hier so eine Unruhe auslösen.« Er zeigte in die erste Reihe. »Tabitha, komm nach oben.«
    Sie erhob sich und folgte seiner gebietenden Hand.
    Hatte sie sich verändert? Ihr weißes Kleid wirkte länger und weiter, versteckte ihren knackigen Hintern, der sonst die Aufmerksamkeit auf sich zog. Aber vielleicht hatte sie auch nur abgenommen. Sie war bleich, wirkte fast zerbrechlich – bis auf das Gesicht. Ihre wilden kastanienbraunen Locken wurden von einem Haarband gehalten, und ihre Augen leuchteten. Und sie waren fest auf Pete Wyoming gerichtet.
    Als sie die Bühne betrat, nahm er ihre Hand. »Hier ist jemand, der dich sprechen will, mein Lamm. Aber es ist jemand, der noch nicht sehen kann und sich deshalb ungeschickt und zerstörerisch verhält. Kannst du sie auf den rechten Weg führen?« Er legte ihr die Hand in den Nacken und drehte Tabitha in meine Richtung. »Erzähl Miss Delaney, wie du zu den Standhaften gefunden hast.«
    Für eine Sekunde oder zwei blieb sie stumm und starrte mich an. Verzweifelt
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